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ZYKLON – REFLEXIONEN ZUR JAHRTAUSENDWENDE III

LEO SCHATZL

2. September 1993 – 1. Oktober 1993

Leo Schatzl (AT)

Schwerpunkt: ZYKLON – REFLEXIONEN ZUR JAHRTAUSENDWENDE 1993

In einer von einem Dezimalsystem bestimmten Gesellschaft sind Dezennien oder gar Millennien magische Zahlen, Schicksalsdaten gewissermaßen, die mystisch aufgeladen und meist als katastrophale Zäsuren gehandelt werden. Die FOTOGALERIE WIEN hat mit ihrer vierteiligen Ausstellungsserie Zyklon versucht, eine (teilweise intentionale) künstlerische Skizzierung des kommenden millenischen Datums zu leisten. Es wurden drei Personalausstellungen sowie eine Gruppenausstellung von Arbeiten junger StudentInnen an der Hochschule für angewandte Kunst und der Akademie der bildenden Künste in Wien (kuratiert von Birgit Jürgenssen und Herwig Kempinger)  präsentiert. Architektur, Krieg, Archiv, Zeit, Körper, Zeichen, multikulturelle Gesellschaft, Katastrophe sowie formal-ästhetische Aspekte bildeten dabei den thematischen Rahmen, der photokünstlerisch reflektiert wurde. (Carl Aigner)

In der dritten Ausstellung des Schwerpunktes wurde Leo Schatzl präsentiert.

Viele von uns kennen wohl jene Filmszenen, wo eine brennende Zündschnur zum Gleichnis für Gefahr, Explosivität, Zerstörung, kurz: zur Katastrophe mutiert, in der auch die Filmbilder selbst zerbersten. Zündschnüre werden so auch zur Metapher einer „Materialisation“ von Zeit, die immer auch bereits ihr Ende in sich birgt: Im Augenblick der Explosion implodiert die abgelaufende Zeit gewissermaßen, chaotisiert so die pikturale Erinnerung an das Geschehnis und läßt es in die Leere eines imaginativen Bild-Raumes entschwinden.

Im Rahmen der Ausstellungsserie Zyklon der FOTOGALERIE WIEN präsentiert Leo Schatzl ein Werk, das sowohl die Elemente Architektur/Raum, Lichtzeichnung/Performance und photographische Aufzeichnung umfaßt. Die Vernetzung dieser Aspekte wird dabei mittels Zündschnüren bewerkstelligt. Sie dienen als Leitsystem im Ausstellungsraum, den sie in komplexer Weise verspannen und so eine imaginäre Architektur schaffen. Gleichzeitig sind sie ein graphischer Duktus, der als Raumzeichnung fungiert. Durch das Abbrennen der Zündschnüre während der Ausstellungseröffnung wird eine „Lichtperformance“ realisiert, die sowohl das Prozeßhafte der Installation als auch eine „immaterielle Lichtzeichnung“ evoziert. Die parallel erfolgende photographische Dokumentation des Ablaufes wird zu einem „Licht-Bild“, indem die Zündschnur als Lichtquelle sui generis fungiert.
Dem Künstler geht es dabei allerdings nicht um ein formal-ästhetisches Ereignis. Der Titel der Ausstellungsserie, Zyklon, verweist auch auf den Decknahmen für Blausäure (Zyklon B), die bekanntlich von den Nationalsozialisten als Massenvernichtungsmittel entwickelt und eingesetzt wurde. Als Metapher für „Verbrennen“ wird die „katastréphein“ als „soziales Ereignis“ thematisiert und nicht als bloßes physikalisches Geschehen.
Die Zündschnur als materialisierte Zeit verweist aber auch auf jene elementare Herausforderung zur Jahrtausendwende, die mit „Zeitimplosion“ umschrieben werden kann. Zeit als Verhältnis von Licht und Raum gedacht, hat infolge der technologischen und gentechnologischen Innovationen eine fundamentale Zäsur in den letzten beiden Jahrzehnten erfahren. Die künstlerische Arbeit kann immer auch als „Intensivierung“ von Zeit(erfahrung) interpretiert werden, die Zeit gleichsam „aufzuheben bzw. „auszusetzen“ versucht. Das Temporale selbst wird zum klandestinen Thema dieser Arbeit von Leo Schatzl. (Carl Aigner)