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Ausstellungen On Tour

CROSSOVER I – im Projektraum des wuk

FOTOGRAFIE UND FILM

6. Juni 2006 – 28. Juni 2006

Wolfgang Herburger (AT), Gerda Lampalzer (AT), Manfred Oppermann (AT)

Kataloge | Schwerpunkt: CROSSOVER 2006

 

CROSSOVER – SCHWERPUNKT 2006 der FOTOGALERIE WIEN

CROSSOVER I im Projektraum im WUK

Eröffnung: Montag, 5. Juni, 19.00 Uhr


Der diesjährige Schwerpunkt präsentiert Arbeiten von KünstlerInnen, die sich zwar des Mediums Fotografie bedienen, allerdings die Charakteristika einer anderen oder anderer Kunstsparten beschreiben oder vermischen und in deren Werk diese Arbeitsweise bereits seit vielen Jahren Teil ihres künstlerischen Konzepts ist. Für Crossover gibt es auch erstmals – im Sinne einer Grenzüberschreitung – eine geteilte Projektautorenschaft. Drei österreichische Positionen (Gerda Lampalzer & Manfred Oppermann: Fotografie – Film, Eva Schegel: Fotografie – Malerei , Alien Productions: Fotografie – Medienkunst) wurden vom Kollektiv der Fotogalerie eingeladen. Diese haben wir ersucht, ihrerseits KünstlerInnen zuzuladen mit dem Ziel der Erweiterung und Verdichtung des Themas.

Innerhalb der Ausstellung ist ein ausgewähltes Filmprogramm zu sehen; unter anderem von Lampalzer/OppermannParanormal, Bluthochdruckerei, Ernst Mach, 3 x Daumenkino, 7 Versuche mit kanadischen Linsen und von Wolfgang Herburger: Pirgi-Film, Ursprung Ill bis Vermunt, Korrespondierende Zeichen

PROJEKTRAUM WUK
Währinger Strasse 59 / WUK, Stiege 4, 1090 Wien
Di–Fr 14.00–19.00, Sa 10.00–14.00 Uhr
an Feiertagen geschlossen

Begleitprogramm und Finissage Crossover I

Gerda Lampalzer & Manfred Oppermann
Remembering the Laws of Optics
Lesung mit Projektion
… Die Verwunderung, wenn ein Taschentuch statt eines Handys aus der Hosentasche gezogen wird. Das Auge funktioniert wie eine Röhrenkamera. Es wird permanent mit Licht beschrieben. Es gibt keinen Augenblick …

Dienstag, 27. Juni, 19 Uhr: FOTOGALERIE WIEN –  KINO

CROSSOVER I: FOTOGRAFIE – FILM

Aus heutiger Sicht verkörpert die Kunst der 1990er-Jahre das Super-Crossover. Stilistische, genrespezifische und mediale bzw. interdisziplinäre Verflechtungen vor allem mit Politik (ausgelöst durch die AIDS-Krise Mitte der 1980er-Jahre) und Popkultur brachten der gelangweilten Kunstszene neue Attraktionen: Die Kunst war weniger Werk als Dienstleistung, Sozialarbeit oder Unterhaltung. Die KünstlerInnen entlehnten Methoden und Strategien von fremden Professionen, und der Kunstbetrieb war von den neuen eventorientierten Kunstproduktionen begeistert. Die „Repolitisierung“ bzw. der „horizontale Transfer zwischen Kunst, Pop und Medien“ waren „die Koordinaten, innerhalb derer die verschiedenen Crossover-Konstellationen in Gang gesetzt wurden“ – jedoch „ohne wirklich die Auflösung der eigenen Szenestrukturen anzupeilen“ (Helmut Draxler, springerin 1/97).

Was ist vom Super-Crossover geblieben? Einerseits die „intermediale Flexibilität“ (Draxler), die dank der mittlerweile reibungslosen Vernetzbarkeit den Transfer von Informationen zwischen verschiedenen Disziplinen wesentlich vereinfacht hat und damit vielfache Referenzen und Synthesen erlaubt. Aber vor allem sind die Transfers zwischen jenen Szenen geblieben, deren Grenzen immer schon in die eine oder die andere Richtung überschritten wurden, weil sie ohnehin parallele Diskurse führen (wie z.B. die Kunst und die Literaturwissenschaft), sich gegenseitig beeinflussen (performative Kunst und Theater), ihre Dienste in Anspruch nehmen (KünstlerInnen entwerfen CD-Covers) oder einen ähnlichen Ursprung haben (Fotografie und Film). Ist es denn verwunderlich, dass sich visuell orientierte Menschen auch für die Bildwelten von Werbung, Mode, Film, Journalismus, Militär und Wissenschaft oder deren oft wesentlich fortschrittlichere Darstellungstechniken interessieren? Ein Crossover zwischen Fotografie und den anderen künstlerischen Ausdrucksmitteln Film, Malerei und Medienkunst – wie es in den drei Schwerpunktausstellungen der FOTOGALERIE WIEN 2006 repräsentiert wird – bezieht sich auf jenen zuletzt genannten intermedialen Austausch unter benachbarten visuellen Praktiken und lanciert damit eine Produktions- und Interpretationsvielfalt, die den tradierten Bildbegriff, den wir von der Fotografie haben, auffächert. Im Sinne dieser Kompatibilität der Fotografie bezieht die erste Ausstellung der Crossover-Reihe auch gleich weiteres Material mit ein: die Zeichnung und ihre Rolle als Einzelbild des Trickfilms, Texte als Voice-Over-Pendant für das Standbild und außerdem betont installative Präsentationsformen, die die filmische Projektionstechnik aufgreifen und eine apparative Geräuschkulisse in den Ausstellungsraum bringen.

Das Crossover zwischen Fotografie und Film nimmt bei Wolfgang Herburger seinen Ausgang in der Animation unbewegter Bilder und wird in der endgültigen Ausführung oft als kinetisches Objekt realisiert. Zeichnungen, Fotografien oder Piktogramme beginnen mit Hilfe analoger Bewegungsapparate an uns vorüberzulaufen, manchmal auf Knopfdruck, manchmal automatisch, wie das „Tagebuch“ (2003), bei dem transparente Zeichnungen in eine Schleife montiert zwischen zwei Transportspulen an einem Overheadprojektor vorbeirollen. Oder er nimmt mit einer Super-8-Kamera Einzelbilder von Autos auf, die er anschließend mit normaler Geschwindigkeit abspielt („Filme zur Farbenlehre“) und peilt damit eine Art „Speed-Mischung“ an (wie auch die Farben eines bewegten Kreisels zu einem einheitlichen Farbton verschmelzen), wenn auch mit illegalen Mitteln und ohne Legitimationsanspruch für das Experiment. Als Vorlagen für diese Animationen dienen stets Motive, denen man einen grundsätzlichen Hang zur Bewegtheit zuschreiben würde: Piktogramme von Ertüchtigungsstrecken (sogenannten Vita-Parcours) mit Athleten, die Turnübungen vorzeigen; oder Warnanlagen (sogenannte Reihenblitze), wie sie zur Sicherung von Baustellen eingesetzt sind. Herburger sieht in ihnen eine auf ihre Grundelemente reduzierte Form des Films, weil ihnen dieselben Komponenten, nämlich Licht und Bewegung, zugrunde liegen. Diese Motive werden dann mit Geräten gekoppelt, die in alltäglichen Zusammenhängen für einfache analoge Bewegungen zuständig sind: Zugzielanzeigen, deren rasches Blättern uns von Bahnsteigen bekannt ist und auf welchen die Athleten dann beginnen, Bewegungsabläufe zu simulieren; oder Jalousien (Exit 2), die ähnlich wie dreiseitige Prismenwender funktionieren und den stilisierten Menschen eines Notausgangschildes zum Laufen bringen. Wolfgang Herburger stößt immer wieder auf derartige Markierungen von Straßen und Wegen (Linie und Legende) oder auf Leitsysteme für öffentliche Plätze oder Städte (Pirgi) und wendet sich dabei einerseits den Zeichensystemen selbst zu sowie ihren Qualitäten zu leiten und zu führen bzw. Ordnungen schaffen; andererseits den Verläufen in Form von Flussläufen, Grenzlinien (Grüne Grenze), Fluchtwegen oder kartografischen Aufzeichnungen, die von den Markierungen beschrieben werden. Zentraler Gedanke ist wiederum die Überlagerung von bewegten und unbewegten Momenten, die Animation von Elementen, die bereits eine Ausdehnung implizieren und im Film diese reale Ausdehnung in eine filmische übersetzen.

Bei Gerda Lampalzer & Manfred Oppermann steht das Crossover von Fotografie und Film im Zusammenhang mit ihrem Interesse an optischen Wahrnehmungsphänomenen. Das wird etwa in ihrer Installation Experiment of the Month (1997) deutlich: Bei einem Stipendienaufenthalt in Kanada versuchten sie, zwei einfache optische Experimente, die „Eislinse“ und den „Grinsekatzeneffekt“, die in der Zeitschrift Spektrum der Wissenschaften vorgestellt waren, nachzuvollziehen. Neben der performativen Aktivität der KünstlerInnen ist auch das Scheitern als mittlerweile gesellschaftsfähige Größe thematisiert, denn entweder ließ sich das angestrebte Ergebnis nicht erzielen (die Eislinse wurde im Kühlschrank trüb) oder der erzielte Effekt war nur über offensichtlich getürkte Montagen (Doppelbelichtungen, die mit Hilfe von Schablonen entstanden) visualisierbar, die dann etwa als Beweismittel für den „Grinsekatzeneffekt“ antraten. Bei diesem geht es um eine Überlistung der binokularen Fusion unserer Augen: Bilder des linken und des rechten Auges dürfen nicht miteinander zu einem dreidimensionalen Raumeindruck verschmelzen, sondern bleiben mittels eines Spiegelsystems voneinander getrennt. Unser Gehirn fügt diese jedoch trotzdem wie bei einem Trickmischer (daher auch der Titel Organic Image Processor) wieder zusammen. Die sehr subjektiven Bildessays, die Lampalzer & Oppermann nach einem eigenen Drehbuch um diese zwei Experimente konstruieren, bestehen aus je 132 Diapositiven, die in filmischer Manier von Zwischentiteln unterbrochen sind, aber sonst einem Erzählstrang folgen. In der Präsentation rücken die Einzelbilder wieder in Richtung Filmbilder, indem die Dias – zu einem langen horizontalen Streifen montiert – den Betrachter einladen, mit Hilfe von vorgeschalteten beweglichen Vergrößerungslinsen den Film abzugehen. Der Film wird also nicht wie sonst üblich am ruhenden Publikum vorbeigeführt, sondern erst die Bewegung des Publikums setzt ihn in Gang. Es ist ein „begehbarer Film“ (Lampalzer & Oppermann).

Der intermediale Austausch findet bei Lampalzer & Oppermann meist schon während der Produktion statt: dort wenden sie Methoden und Effekte der analogen Film- und Videotechnik, wie Schnitt, Überblendung, Key-Effekte etc., auf die Fotografie an und benennen auch in den Titeln die strukturellen Parallelen ihrer fotografischen Arbeiten zum Film. Trickblende (2002) greift etwa eine formale Lösung der analogen Filmtechnik auf, um zwei unterschiedliche Bilder auf einem Kader zu zeigen: in diesem Fall ermöglicht es die Stanze, eine Art Schablone in Form eines Schlüssellochs, ein gleichzeitig stattfindendes Ereignis zuzuschalten. Ein eingeblendeter Untertitel macht die Gleichzeitigkeit offensichtlich: MEANWHILE ist auf beiden Fotografien zu lesen und lässt unser Auge zwischen den Bildebenen springen. Aber auch in der Postproduktion treffen Fotografie und Film aufeinander, wenn Lampalzer & Oppermann etwa auf die Geschichte des Films Bezug nehmen: In Fiktive Filme werden Trailer von 20 Filmen mit Hilfe weniger Filmstills bzw. einem Filmtitel angedeutet (tatsächlich bleibt es bei diesen Filmstills, die in Form einer Diaprojektion gezeigt werden und sich damit abermals an der Präsentationsform des Films anlehnen) und repräsentieren über ihre wieder erkennbare Bildästhetik sämtliche Filmgenres: vom Experimental- über den Kultur- bis zum Nouvelle-Vague-Film.

 

(textliche Betreuung: Ruth Horak)