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Ausstellungen On Tour Theme of Focus

DIGITAL I

ARTEFAKTE

3. November 2022 – 14. Jänner 2023

Robert Bodnar (AT), Oliver Laric (AT), Julian Lee-Harather (US), Simon Lehner (AT), Martina Menegon (IT), Michaela Putz (AT), Ruth Schnell (AT)

BILDER | Cinemathek | Schwerpunkt: DIGITAL 2022/2023

FOTOGALERIE WIEN ON TOUR
IM OSTLICHT. GALERIE FÜR FOTOGRAFIE, WIEN

Eröffnung: Mittwoch, 2. November 2022, 19.00 Uhr
Gemeinsame Eröffnung mit der Preview zur OstLicht Photo Auction
Einführende Worte: Johan Nane Simonsen

Ausstellungsort: OstLicht, Absberggasse 27/3, 1100 Wien, www.ostlicht.org
Öffnungszeiten, OstLicht: Mi–Sa 12.00–18.00 Uhr

Rahmenprogramm / Künstler:innengespräche in der Ausstellung: 

Mittwoch, 23. November 2022 im OstLicht: Simon Lehner

Mittwoch, 14. Dezember 2022 im OstLicht: Ruth Schnell

Donnerstag, 12. Jänner 2023 im OstLicht: Robert Bodnar

 

sponsored by: BMKOES; MA7-Kultur; Cyberlab

Mit DIGITAL widmet die FOTOGALERIE WIEN ihre neueste Schwerpunktreihe einem Thema, das unser gesamtes Zeitalter prägt. Es ist keine Fiktion mehr, über Arbeiter:innen zu spekulieren, die den größeren Teil ihrer wachen Lebenszeit mit den Augen auf Bildschirme geheftet verbringen. Der Erdball rotiert unter einem Netz von Satelliten, die kontinuierlich Fotografien von seiner Oberfläche herstellen. Fast jede:r von uns hat einen Computer in der Hosentasche, wir alle werden überwacht, vermessen und in Zahlen ausgedrückt: Null und Eins.
Für die Fotografie hatte die Digitalisierung weitreichende Folgen. Manche haben sogar ihren Tod ausgerufen. Aber umgekehrt haben sich fotografische Bildverfahren zu einem wichtigen Prinzip in unserer digitalen Lebenswelt entwickelt. Fotografien werden in nie dagewesener Zahl angefertigt und konsumiert. Über kleine grelle Bildschirme werden Fotografien zur Schnittstelle zwischen Algorithmen und unseren Emotionen, Begierden, Ängsten und Träumen.
Wir wagen es, einen Blick auf diese Gegenwart zu werfen und werden in drei Ausstellungen zum Thema DIGITAL einen Abriss über die neuen Technologien und die Reaktionen von Künstler:innen darauf präsentieren. Mit ihnen versuchen wir, das Ungreifbare zu erspüren und seine Potentiale und Gefahren einzuschätzen.

Artefakt bezeichnet im allgemeinen Sprachgebrauch „etwas von Menschenhand Gemachtes“. Man denkt an einen alten, kunstvollen Gegenstand, der seine Schöpfer:innen überdauert hat. Im Zusammenhang mit Fotografie und digitalen Bildern hat Artefakt noch eine weitere Bedeutung: ein Bildfehler, eine Abweichung von der Bildquelle, die ihren Ursprung in den Eigenheiten des verwendeten Bildverfahrens hat. Das Rauschen oder ein Pixelklumpen ist hier ein Artefakt, in dem die Mechanik des Apparats selbst sichtbar wird. Anhand von diesen Fehlern können wir Rückschlüsse ziehen auf die Natur einer Technologie. Gerade das Digitale nehmen wir oft als unorganisch, rational, als zu perfekt wahr. In den Bildartefakten, auch Glitches genannt, zeigt sich seine Materialität, seine Körperlichkeit, wenn man so will.
Es ist bemerkenswert, dass ein und dasselbe Wort für Kunstwerke und für Fehler verwendet wird. Was beide Arten von Artefakt gemeinsam haben: Etwas materialisiert sich, etwas dringt von einer Realität in eine andere, etwas Unerwartetes nimmt Gestalt an, wird zu einem unabhängigen Objekt, stört die Illusion der Kohärenz. (Johan Nane Simonsen)

In dem Werkkomplex Autochrome Studies von Robert Bodnar werden verschiedene Bildverfahren, Algorithmen und Hardware in analoge Objekte umgewandelt. Fotografie erforscht sich selbst. Der Titel referiert auf das Autochromverfahren, einer frühen fotografischen Methode zur Herstellung von Farbfotografien. Die Installation Autochrome Study #1 {Bayer CFA} simuliert mit Hilfe von Filtern auf analoge Weise die Ästhetik von rohen Farbdaten, die ein moderner Farbsensor liefert, bevor die Algorithmen ein für uns „lesbares“ Bild daraus berechnen. Eine farbenfrohe, hinter dem Zylinder aus Filtern platzierte Blume wird zersetzt und verpixelt. Moiré-Effekte dominieren, wenn sich die Betrachter:innen um die Installation bewegen und ergeben ein dynamisches, virtuelles Erscheinungsbild – digitale und analoge Phänomene vermischen sich.

Oliver Laric untersucht nicht nur Rezeptionsweisen von Kunst, sondern auch die Veränderungen von Kunst in digitalen Sphären sowie die Bedingungen der physischen Realität. In seiner Arbeit greift er u.a. auf bereits existierende, historische Skulpturen zurück, eine vertiefte Auseinandersetzung mit Reproduktion und Originalität, Veränderung und Variabilität. Die Skulptur Hunter and Dog (1847) von John Gibson (1790–1866) war einer der Ausgangspunkte für Larics stetig wachsende Sammlung von 3D-Scans. Seit 2012 veröffentlicht er diese auf threedscans.com, einer Website, auf der all seine digitalen Scans heruntergeladen und frei verwendet werden können. Nach dem Scannen verwandelte Laric das 3D-Modell von Hunter and Dog (2018) in ein Flachrelief, woraus eine Reihe von Reliefs entstand, die durch ihren Gussprozess jedes Mal unterschiedlich sind.

Der Beginn der Pandemie löste bei Julian Lee-Harather eine stark regressive Phase aus. Der einzige Weg, diese zu bewältigen, war die Flucht in Computerspiele und Simulationen wie „Animal Crossing“ und „Minecraft“, die ihn an vertraute Zeiten seiner Kindheit erinnerten. Etwa dreihundert Stunden während des Lockdowns waren den digitalen Welten gewidmet, die für einen kurzen Moment realer wurden als die Realität selbst. Die Bilder wurden kurz vor dem zweiten Lockdown im Herbst 2020 aufgenommen, und instinktiv wählte er für die Aufnahmen den Ort, der ihm zu diesem Zeitpunkt am vertrautesten war und an dem er sich am wohlsten fühlte. Indem er die Modefotografie von Alessandro Santi in dieses Setting übertrug, fühlte sich seine Spielsucht gleichsam wie ein umfangreiches Forschungsprojekt für seine künstlerischen Arbeit an.

Simon Lehners Arbeiten untersuchen Aspekte menschlicher Emotion durch fotografische Beobachtung; sie beinhalten autobiografische Bezüge und kreisen um Themen wie Identität und Männlichkeit und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft. In den aktuellsten Arbeiten liegt ein starker Fokus auf kognitiven Aspekten von Erinnerung, „mental health“ und auf der Kontrolle, die Bilder in Bezug auf unser kollektives Verhalten ausüben. Lehner verwendet das Medium Fotografie als Baustein; die normalerweise zweidimensionalen Bilder werden in neue Formen transferiert. Das geht von bildbasierten Skulpturen und Gemälden, bei denen jedes Pixel des Originalfotos erweitert und dann in den physischen Raum übertragen wird, über Arbeiten, die teilweise von einem Roboter gemalt wurden, bis hin zu 3D-Animationsvideos. Was sie alle vereint, ist ihr Ausgangsmaterial, das aus einer Reihe persönlicher Archivfotos stammt.

Martina Menegon zeigt untouched, eine Serie von Selbstporträts, die mithilfe eines 3D-Scanners erstellt und unverändert als virtuelle Online- und Augmented-Reality-Skulpturen präsentiert werden. Die virtuellen, fragmentierten Körper existieren in untouched auch in der Blockchain als Editionen von NFTs zum Sammeln und Bewahren. Zusätzlich zur Version in der Augmented Reality nehmen die Skulpturen noch eine andere Form an: auf Bildschirmen als organische und fast abstrakte Details des ursprünglichen virtuellen Körpers, die sich nahtlos vor den Augen der Besucher:innen bewegen und entflechten. Indem sie ihren physischen Körper während des Scannens bewegt, treibt Menegon die Praxis von Selfies und Selbstporträts an die Grenze. Bewusst und performativ wird ihr Körper durch Glitches transformiert und es werden simulierte und flüssige Identitäten sowie neue authentische und sinnlich wahrnehmbare Avatare erzeugt.

Virtuelle Erinnerungsspeicher komplettieren die Fehlerhaftigkeit unserer menschlichen Erinnerung. Das Projekt Gloom of Mnemosyne von Michaela Putz unternimmt einen Versuch der Neuaneignung dieser technologischen Form der Erinnerung. Diese basiert auf Daten, Pixeln, Lichtpunkten: rohe Daten, die eine völlig andere Qualität haben als die Unschärfe des Gedächtnisses. Durch die emotionale Färbung unserer Gedanken verändern sich diese im Laufe der Zeit und treten als teils vage und dunkle Versatzstücke auf. Diese prozessuale Form des Erinnerns ermöglicht es uns jedoch auch, Erlebnisse im Nachhinein neu zu interpretieren und umzudeuten. In diesem Sinne versucht dieses Projekt, die digitalen Erinnerungsbilder zu re-mystifizieren, ihre Nicht-Fassbarkeit zu erforschen und deren Zwischenräume visuell auszuloten.

Europa, Nordafrika und der Nahe Osten umschließen das Mittelmeer, es ist zu einem „Dazwischen“ geworden: Flüchtende suchen es von den Maghrebstaaten oder von der Türkei aus in Richtung Europa zu überwinden; Europa hingegen rüstet auf und schafft reale wie elektronische Mauern. Einer Kreidezeichnung der Umrisse des Mittelmeeres folgend, zeigt sich die Installation RISIKO von Ruth Schnell als Auseinandersetzung mit dem europäischen Grenzregime. Ein robotisches Fahrzeug setzt Grenzziehungen ins Werk, ein integrierter 3D-Druckstift druckt die Bausteine der „Festung Europa“. Das Geschehen folgt unbeirrbar seinem Programm.

Petra Noll-Hammerstiel und Johan Nane Simonsen