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Ausstellungen

ARCHITEKTUR II

MARGHERITA SPILUTTINI

6. Juni 1997 – 28. Juni 1997

Margherita Spiluttini (AT)

Kataloge | Schwerpunkt: ARCHITEKTUR 1997

 

Das Verhältnis von Architektur und Fotografie ist so alt wie die Geschichte des Lichtbildes selbst. Einerseits kann man das urbane Feld als Entwicklungsraum für die Verbreitung wie die Auseinandersetzung mit diesem Medium ansehen, andererseits widmete sich die Fotografie von ihrem Beginn an räumlichen Themen. Die Fotografie wurde unter anderem als Instrument zur Versprechung von Stadt und als Orientierungshilfe in ihr verwendet (…). Das Thema „Stadt“ wie auch „Welt“ wurde in verschiedene Zeiten und unter unterschiedlichen Gesichtspunkten vermessen und/oder katalogisiert. Die Fotografie diente dazu, ganz im Sinne ihres „konservativen“ Wesens, die stetig versinkenden Erscheinungen aufzuzeichnen und sie vor dem Vergessen zu retten. Damit setzte eine Dynamik des Blicks ein, die alles zu sehen versuchte und das Kameraauge auch nicht vor sogenannten häßlichen Dingen verschließen ließ. Die Fotografie entdeckte immer wieder neue Sujets und ästhetisierte damit die unterschiedlichsten Erscheinungen von Welt. In letzter Konsequenz wurde alles gleichwertig, weil im eigentlichen Sinne fotografierwürdig. Das Sehen wurde mit Hilfe der Fotografie zu einer Sammeltätigkeit und die Realität zu einer Ansammlung von Fundstücken.

In der zweiten Ausstellung des Schwerpunkts Architektur setzt sich die Künstlerin Margherita Spiluttini mit dem Phänomen „Bewegung“ in der Architekturfotografie auseinander.

„Ich habe entdeckt, daß alles Unglück des Menschen von einem Einzigen herkommt: daß sie es nämlich nicht verstehen, in Ruhe in einem Zimmer zu bleiben.“ (Blaise Pascal)

Die Architekturfotografie fixiert statische Verhältnisse und schließt auf den ersten Blick das Moment der Bewegung aus. Dieses wird nicht dargestellt, sondern aufgrund der spezifischen technischen Möglichkeiten letztendlich zu einer Metapher transformiert, indem die Bewegung des Objekts oder der Kamera durch Unschärfen symbolisch festgehalten oder die Erscheinung eines Gebäudes mittels dynamischem Bildaufbau dramatisiert wird. Die serielle bzw. konzeptionelle Fotografie arbeitet mit dem Aspekt von Zeit im Raum, indem entweder Einzelbilder entlang einer Zeitachse aufgenommen und damit verschiedene Formen von Veränderung dargestellt, oder in der Präsentation unterschiedlicher Blickpunkte ein filmisches Moment in die Fotografie eingebracht werden. In anderer Art und Weise setzt sich Margherita Spiluttini mit dem Phänomen Bewegung auseinander, indem sie sich in ihren Arbeiten gewissen Aspekten dieses dynamischen Prinzips widmet. Obwohl sich dieses Moment durch alle Fotos durchzieht, dokumentieren im eigentlichen Sinne die Bilder von Spiluttini die Absenz von Bewegung. Sie zeigen diese nicht direkt, sondern machen jene Orte sichtbar, in die Bewegung eingeflossen ist oder in denen der Drang danach möglich gemacht wird. Es sind Fotografien von Architekturen und Landschaften, in denen Geschichten und Prozesse auf einer symbolischen Ebene sichtbar werden. Nicht die Inszenierung und dramaturgische Fassung von Bewegung ist ihr konzeptionelles Anliegen, sondern die Kamera dient ihr als Instrument zur Aufarbeitung jener Erscheinungen und Folgewirkungen, die das Bedürfnis nach Bewegung und der Wille zur Gestaltung von Umwelt nach sich ziehen.
Inhaltlich gliedert Spiluttini die Bildauswahl in drei Gruppen. Ein Teil der Fotos dokumentiert die Überformung von Natur durch den Menschen und verdeutlicht, wie zahlreich diese Eingriffe dem Prinzip Mobilität unterworfen sind. Es entstanden durch derartige Maßnahmen, und das kann man schwer übersehen, faszinierende Bauwerke und vollkommen neue landschaftliche Situationen, die einer gewissen Ästhetik nicht entbehren. Es ist die Rücksichtslosigkeit bzw. der Hang zur Monumentalität, der beeindruckt, einen aber aufgrund des heutigen Wissens in Ambivalenz hält. In einer anderen Werkgruppe widmet sich Spiluttini den Räumen des Sports, ohne aber körperliche Aktivitäten direkt darzustellen. Es sind Orte, die auf ihre Benutzung warten und Spuren vergangener bzw. kommender Bewegung aufweisen. Sie strahlen eine gewisse Ruhe aus, obwohl sie ganz dem Gegenteil davon gewidmet sind. Die dritte Auswahl umfaßt Bilder von Steinbrüchen und Schottergruben, die als Zeugnisse einer Umwertung von Natur in Kultur gelesen werden können. In ihnen wird Materie abgebaut, bewegt und verarbeitet, damit Landschaft verändert, um Bauwerke anderswo entstehen zu lassen. Innerhalb dieses Prozesses entstehen Negativformen in der Natur, die einen Teilbereich der Kulturgeschichte des Menschen virtuell repräsentieren.
Entstanden sind die Fotos entweder als Auftragsarbeiten oder ohne konzeptionellen Anspruch im Laufe der Zeit aus purer Faszination an den Sujets. Erst in einer rückblickenden Betrachtung und im Zusammenhang mit der Möglichkeit eine Ausstellung zu bespielen, kristallisierte sich aus einer vormals relativ unbewußt gesteuerten Beschäftigung ein Konzept bzw. eine Ordnung der Fotos heraus. Bestimmt sind die Auswahl wie die Entstehungsgeschichten der Bilder durch einen emotionalen Zugang von Spiluttini zu diesem Thema, einerseits dadurch, daß ihre Beziehung zum Sport ambivalent ist, andererseits deshalb, weil dem Aspekt von Bewegung und Reisen in ihrem Beruf eine besondere Bedeutung zukommt. Denn auf ihren Fahrten zu den Gebäuden, die sie fotografieren soll, wird das Auto für Spiluttini zu einer Art Behausung, in der sie sich geschützt durch oftmals unvertrautes Gebiet bewegt. Die Präsenz der umgebenden Landschaft und die gleichzeitige Distanz zu ihr schafft jenen mentalen Raum, in dem sich ein besonderes Lebensgefühl einstellt, das zwischen Anstrengung und Entspannung, Neugierde und Angst, Befreiung vom Alltag und Hilflosigkeit gegenüber den anderen Verhältnissen changiert. Eingebettet in diese subjektiv empfundene Spannung entdeckt Spiluttini Objekte und räumliche Situationen, die sie faszinieren und letztlich zum Halten animieren. Die Kamera wird Instrument zur Überbrückung von Distanz, sie wird unbewußt oder zielgerichtet dazwischengeschaltet, um die eigenen Grenzen zu überwinden und zur Annäherung an das beunruhigende Fremde zu dienen. In diesem Sinne sind die Fotografien von Spiluttini Momentaufnahmen einer Bewegung, deren eigentliche Geschichten und Bedeutungen außerhalb der Bildebene liegen.

(textliche Betreuung: Arno Ritter)