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ANIMAL IV

SINJE DILLENKOFER / ROBERT F. HAMMERSTIEL

6. Dezember 2001 – 12. Jänner 2002

Sinje Dillenkofer (DE), Robert F. Hammerstiel (AT)

Schwerpunkt: ANIMAL 2001

Vier Schwerpunkt-Ausstellungen widmete die FOTOGALERIE WIEN 2001 dem Tier. Die künstlerischen Positionen, die unter dem Titel Animal I–IV vorgestellt wurden, tragen den herrschenden Tierbildern aufmerksam Rechnung. Manche der Arbeiten greifen diese populären Bilder auf und hinterfragen sie. Manche sind Auseinandersetzungen mit der Zwiespältigkeit des menschlichen Blicks auf das Tier. Dieser Blick scheidet zwei Welten. Auf der einen Seite steht die Streichel- und Kuschelwelt, die sich in der Verhäuslichung und Emotionalisierung tierischer Bilder ausdrückt. Auf der anderen Seite liegt Ausschluss, Leiden und schließliche Massentötung von Tieren. Das Kuscheltier in der Sofaecke schaut uns an, der Blick jender Tiere, die im industriellen Komplex verschwinden, bleibt unerwidert.

In der Ausstellung Animal IV stellen Sinje Dillenkofer und Robert F. Hammerstiel aus.

Ralf Christofori über Sinje Dillenkofer: Sinje Dillenkofers SUBSTITUTE I, A-F von 1990 sind sechs fotografische Triptychen, die nicht nur den Status von Bildern beanspruchen, sondern in kubische Träger eingelassen, auch und gerade materialiter zum Objekt erhoben werden. Die Inszenierung der Motive suggeriert ein vermeintlich neutrales Produktplacement, das Kontexte ausblendet und auf dem selben Weg den Symbolwert des jeweiligen Gegenstandes zusätzlich unterstreicht. Im Falle der SUBSTITUTE I, A-F ist das „Produkt“ je eine Hundeurne, ein Pokal eines Hundeschönheitswettbewerbs sowie ? in der Mitte ? ein posierender Hund.
Jedes dieser fotografischen Objekte bildet für sich genommen ein Stadium innerhalb des Lebenszyklus ab, die Blüte des Lebens selbst, den mutmaßlichen Erfolg und den betrauerten Tod. Stefan Berg beschreibt Dillenkofers SUBSTITUTE in diesem Zusammenhang sehr treffend als „eine bittere Parabel auf die menschliche Existenz und ihre Sehnsucht nach Ruhm und Ehre und die banale Endgültigkeit des Todes, der sich in dieselbe Form kleidet wie der Triumph“. Die Trophäe avanciert vor diesem Hintergrund zum Signum des Lebens, des Erfolgs und des Todes, sie dokumentiert das Hundeleben selbst als ein ebenso sehnsüchtiges wie vergebliches Streben nach einem erfüllten Dasein. Daß jene Verkehrung des Kreatürlichen einzig dem Willen und der Vorstellung eines menschlichen Halters entspringt, ändert an dieser Logik nichts. Im Gegenteil: Wo sich der Mensch seine Substitute schafft, sucht er doch nur die Projektion eines begleitenden Alter ego zu befriedigen.
Diese Logik führen Sinje Dillenkofers fotografische SUBSTITUTE „glanzvoll“ vor Augen. Kalt und nicht wenig zynisch konfrontiert uns die Künstlerin mit diesen Projektionen, wodurch vermutlich mehr noch die unmenschliche Dimension solch fragwürdiger Anthropomorphisierungen aufscheint. Nicht zuletzt die Symbolik der SUBSTITUTE II, Kachel 1-15 beruft sich unmißverständlich auf die Codierung einer Ideologie, die sich auf das Reinrassige ebenso beruft wie auf die Diskriminierung des vermeintlich Andersartigen. Spätestens an dieser Stelle offenbaren Sinje Dillenkofers fotografische Objekte eine gefährliche gesellschaftliche Relevanz. Dann nämlich, wenn man das „Substitut“ eines solchen Hundelebens auf das ihm zugrundeliegende Menschenbild zurückführt.
Bleibt dieses Menschenbild an der Oberfläche des Fotografischen weitgehend anonym, so wird der spezifische Charakter des Substituts erst in tieferen Schichten freigelegt, dort nämlich, wo die Projektion zwischen dem Echten und Falschen, dem Authentischen und Künstlichen zu unterscheiden beginnt, um schließlich in ein Gefühl von Zuneigung oder Befremden zu münden. Die Suggestion einer stilisierten Schönheit führt dabei immer wieder auf die falsche Fährte, zumal dann, wenn man die „Produkte“ auf das reduziert, was sie zu sein scheinen: Pokal, Urne, Hund. Die eigentlichen Bezugsmomente der Arbeiten Sinje Dillenkofers erschließen sich indes erst auf der Ebene jener Lesart, die auch den späteren RESERVATEN 1-21, der UMKEHRUNG oder der Serie der Besteckkästen zugrunde liegt. Allesamt fotografische Arbeiten, verkörpern sie bildnerische Ersatzwirklichkeiten, die selbst niemals nur auf sich selbst, sondern stets auf ein Anderes verweisen: auf kollektiv konditionierte Wertigkeiten von Status und Hierarchie sowie die darin wirksamen Prozesse und Projektionen. Die SUBSTITUTE erweisen sich vor diesem Hintergrund als eine Spielart jener psychosozialen Strukturen, welche die menschliche Existenz in unserer westlichen Kultur maßgeblich begründen.

Bernd Schulz über Robert F. Hammerstiel: „Dialektische Bilder. Zur Archäologie des Privaten.“

Robert F. Hammerstiel begibt sich mit seiner Arbeit auf wenig beachtete Territorien des Privaten, die noch nicht an den öffentlichen Bilderstrom angeschlossen sind, Reservate der bürgerlichen Welt, in der die Fähigkeit zum Selbstausdruck zwar rapide schwindet, aber noch nicht ganz erloschen ist. (1)
Vor die Ausführung seiner einzelnen Werkgruppen setzt Hammerstiel eine gründliche Recherche, die man als eine Art „Archäologie des Intimen“ bezeichnen könnte; um Bilder zu finden, in denen die Dinge nicht mehr dem schnellen Gebrauch und Verbrauch unterliegen, sondern sich als widerständige, gegenständige Dinge erweisen. Durch auf menschliches Maß gebrachte Vergrößerungen und ihre der Werbefotografie abgeschaute Isolation in der Studiofotografie erhalten die Dinge, die sich in unserem Alltag eingeschlichen haben, eine Aura, einen gewissen Eigensinn, der den Blick umkehrt.
So entsteht das, was man mit Walter Benjamin ein „dialektisches Bild“ nennen kann, eine Konstellation zwischen entfremdeten Dingen und der in diese Dinge durch die Betrachtung eingehenden Bedeutungen. (2) Die Alltagsgegenstände und -situationen, die Robert F. Hammerstiel fotografiert, werden durch den Prozeß der Ästhetisierung gewissermaßen ihres Gebrauchswertes entkleidet. Der Prozeß ist vergleichbar mit dem Absterben des Gebrauchswertes, der den Dingen im Laufe ihrer Geschichte eine neue Ausdruckskraft gibt. Ihr Chiffren- und Symbolcharakter tritt deutlicher hervor, als dies bei einer Betrachtung im normalen Kontext oder bei einer bloßen Isolierung als Readymade der Fall wäre.
Betrachten wir zum Beispiel die Katzenkratzbäume. Zunächst sind sie praktische Gegenstände, die für einen Tierliebhaber eine bestimmte Funktion erfüllen. Sie dienen dem Schutz der Polstermöbel und sollen dem Kletter- und Spieltrieb der Katzen entgegenkommen. Isoliert, als voll ausgeleuchtetes fotografisches Abbild und im Maßstab 1:1 vergrößert, tritt ihre eigenartige Form und das an Polstermöbel erinnernde Material hervor. Der Gegenstand weist sich eindeutig als Teil eines Interieurs aus. Auch wenn die heutige bürgerliche Wohnung nur noch wenig von abgeschotteten gepolsterten „Futteral des Menschen“ (3) hat, erinnern diese Dinge irgendwie noch an die „Poufs“ und „Confortables“, die Sitzmöbel des 19. Jahrhunderts mit ihren Polsterstoffen, ihren Kordeln und Kissen. (4) Es scheint, als ob das als Fluchtort inszenierte Wohngehäuse noch als eine Art abgesunkenes Kulturgut im Kratzbaum überlebt habe. Vielleicht ist es auch „Futter“ für die verschüttete Kindheitsphantasie, sich in ein Baumhaus vor der Welt zurückzuziehen? Man kann davon ausgehen, daß die keineswegs billigen Objekte nicht einem bloßen Zufall oder den Launen irgendeines Angestellten der Herstellungsfirma zu verdanken sind. Eher zu vermuten ist, daß ein gewisser professioneller Gestaltungswille am Werk gewesen ist.
Es scheint, als ob Hammerstiel seine Antennen ausgefahren hat, um die Hintergrundstrahlung des Big Bang unserer Kultur, der im 19. Jahrhundert stattgefunden hat, aufzufangen. Gleichzeitig fahndet er nach den Resten archaischer Bilder, den Pflanzen und Tieren als Ausdruck des organischen Lebens – Ausdruck der Sehnsucht, die Entfremdung von der Natur ungeschehen zu machen –, dem Meer als Bild der Ewigkeit, der Ruine als Sinnbild der Utopie und der Melancholie.

 

1 siehe Richard Sennett: The Fall of Public Man, New York 1974
2 Walter Benjamin: Das Passagen-Werk, Bd.1, Frankfurt 1982
3 ders., a. a. O.
4 Sigfried Giedion: Die Herrschaft der Mechanisierung, Hamburg 1994