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Ausstellungen

ANEIGNUNG I

BILDBEFRAGUNG

15. Mai 2012 – 9. Juni 2012

Claudia Angelmaier (DE), Anna Artaker (AT), Natalie Czech (DE), Mishka Henner (FR/EN/BE), Tatiana Lecomte (FR), A.D. Martinz (AT), Abigail Reynolds (EN), Julian Tapprich (CH)

Kataloge | Schwerpunkt: ANEIGNUNG 2012

Eröffnung: Montag, 14. Mai um 19.00 Uhr
Einleitende Worte:  Petra Noll
Filmabend mit Gabriele Jutz:
Donnerstag, 24. Mai um 19.00 Uhr

Kooperationspartner:
Ruth Horak, Schwadorf
David Hoyland, Galerie SEVENTEEN, London
Gabriele Jutz, Universität für angewandte Kunst Wien
Gerda Lampalzer, Medienwerkstatt, Wien
Claudia Stein, Photography Now, Berlin

Auf Grund der aktuell bei zahlreichen KünstlerInnen im internationalen Kunstgeschehen erkennbaren Affinität für die Verwendung und Neukontextualisierung von vorgefundenem Material hat das kuratorische Team der FOTOGALERIE WIEN zusammen mit der Kunsthistorikerin und Kuratorin Petra Noll den diesjährigen Schwerpunkt Aneignung entwickelt. Geistige Basis ist die „Appropriation Art“ der 1970er-/1980er-Jahre, wo sich KünstlerInnen in erster Linie bereits existierende Kunstwerke konzeptuell „aneigneten“. Die dreiteilige Ausstellungsserie fasst die Thematik weiter und präsentiert Foto- und VideokünstlerInnen, die sich mit Found-Footage-Material aus den unterschiedlichsten Kontexten sowie mit Strategien des Re-enachtments auseinandersetzen und damit neue Perspektiven und Bildrealitäten eröffnen. Über die zentralen Themen der „Appropriation Art“ – Autorenschaft und Originalität – hinaus, geht es hier auch um Fragen der Repräsentation und Wahrnehmung, um gesellschafts- und kulturpolitische Auseinandersetzungen sowie um Geschichte, Erinnerung und Identität. Für das Thema Aneignung bieten die schon per se auf die Vergangenheit weisenden Medien Fotografie und Film eine zusätzliche Reflektionsebene.

„Was repräsentieren Bilder?“ ist die zentrale Fragestellung der ersten Ausstellung Bildbefragung mit acht internationalen KünstlerInnen, die sich mit Found Footage-Materialien beschäftigen. Die gefundenen fotografischen und filmischen Bilder werden nicht mehr als Zeitdokument behandelt, sondern durch bildnerische, textliche und klangliche Manipulationen so verfremdet und verändert kontextualisiert, dass Bedeutungen und ästhetische Repräsentationen in Frage gestellt und neue Sinnzusammenhänge möglich werden. Dies beinhaltet die Auseinandersetzung mit der Authentizität von (fotografischen und filmischen) Bildern, mit Realität und Fiktion sowie mit Fragen der Wahrnehmung und dem Stellenwert von Reproduktionen.

Claudia Angelmaier untersucht in ihren großformatigen analogen Farbfotografien das Verhältnis von Original und Kopie, Bild und Text. Für ihre Serie Works on Paper bildet eine Sammlung von Kunstpostkarten, die weibliche Rückenfiguren zeigen, den Ausgangspunkt. Angelmaier konzentriert sich auf die Kartenrückseiten und fotografiert und vergrößert diese so, dass die Rückenfigur der Vorderseite schemenhaft durchscheint. Im Fokus der Serie ist die Bildlegende, das heißt der Kontext des jeweiligen Bildes. Es geht Claudia Angelmaier um Fragen der Repräsentation von Kunst, um die Frage nach dem Original und immer auch gleichzeitig um die Auslotung der Grenzen des fotografischen Bildes.

Anna Artaker geht es um die Hinterfragung der Abbildfunktion von Fotografie sowie um die Untersuchung der Fotografie als Zeitdokument. Für ihre Arbeit Unbekannte Avantgarde hat sie sich Dokumentationsfotografien von Künstlergruppen des 20. Jahrhunderts angeeignet und befragt. Die Fotos zeigen, bis auf jeweils eine Frau, nur männliche Künstler – eine Aussage, die auf Grund der anzunehmenden Wahrheitstreue von Fotografie glaubhaft scheint. Um diese Wahrnehmung zu korrigieren, kombiniert Anna Artaker die auf Baryt neu ausgearbeiteten Fotos mit Zeichnungen, die als Legende fungieren. Sie zeigen die Umrisse der Dargestellten, die sie mit Namen von Künstlerinnen bezeichnet hat –  ein Verweis darauf, dass neben der offiziellen Geschichtsschreibung auch andere Bilder und Texte existieren.

Natalie Czech arbeitet mit Found-Footage-Text- und Bildmaterial aus Printmedien. In ihren Arbeiten reflektiert sie einen subjektiven Prozess des Lesens und Findens, der, ohne die Lektüre zu steuern, poetische Sensationen des Alltags aufzeigt. Die Werkgruppe Hidden Poems besteht aus Fotografien fragmentarisch zitierter Text- und Bildseiten aus Zeitschriften und Büchern. In den Texten sind Buchstaben und/oder Wörter durch Farbe oder Streichungen in der Form hervorgehoben, dass sich aus dem originalen Sachtext ein Gedicht eines Lyrikers herauslöst, das auf oft surreale Weise mit dem Ursprungstext bzw. dem Bild korrespondiert. Der künstlerische Akt besteht aus einer Neukontextualisierung, womit Originalität und Authentizität zur Diskussion gestellt werden.

Für seine Serie Dutch Landscapes hat Mishka Henner Luftaufnahmen von Google Earth von strategisch wichtigen, durch grobe Pixelung unkenntlich gemachten Flächen verwendet. Durch Henners komponierende Auswahl entstehen neue Landschaften, nahezu abstrakte Kompositionen. Es geht ihm um die beliebige Verfügbarkeit von Bildern im Internet, um Zeigen und Verbergen, um die Inhalte, die Bilder (nicht) repräsentieren. Das trifft auch zu für Henners Buch Less Americains, ein bearbeitetes Remake von Robert Franks Klassiker, dem Fotobuch „The Americans“. Hier ist der Künstler über das Auswahlprinzip hinausgegangen. Von den Bildinformationen Franks hat er einen Großteil digital gelöscht: „weniger Amerikaner“ – eine ironische Auseinandersetzung mit Inhalt, Form und Autorenschaft.

Tatiana Lecomte verwendet gefundene Bilder, wie beispielsweise bei ihrer Arbeit Auflösung, die aus mehreren Farbaufnahmen besteht, die jeweils einen stark vergrößerten Ausschnitt einer Fotografie des brennenden Warschauer Ghettos von 1943 wiedergeben. Dieses Foto hat Lecomte in Abschnitten – bewusst nicht exakt und vollständig – abfotografiert. Durch die Mittel der Vergrößerung, Fragmentierung, Motivverdoppelung bzw. -auslassung sowie durch die Neukontextualisierung in Form von Verschiebungen und Überlappungen erzählen die Bilder keine eindeutige Geschichte mehr. Mit dieser  Verweigerung der Sichtbarmachung stellt Lecomte den Wahrheits- und Informationsgehalt von fotografischen Bildern in Frage.

A.D. Martinz hat eine zentrale Szene mit der Schauspielerin Isabella Adjani aus dem Horrorfilm „Possession“ von Andrzej Zulawski (1981) zum Ausgangspunkt für die audiovisuelle Komposition The rate of change over time verwendet. Die alptraumhafte, irrational wirkende Szene aus Zulawskis Film zeigt Adjani in einer U-Bahnunterführung, wie sie aus einem wilden Lachen heraus immer wahnsinniger wird. Martinz geht es um die Wechselbeziehung zwischen Bild, Ton und Emotion. Durch visuelle und akustische Veränderungen wie Zeitmanipulationen, Wiederholungen, Überlagerungen, Verschiebungen, Unschärfe, Verstärkungen usw. hat der Komponist und Künstler die Szene zu einer Gesamtstimmung verdichtet, die noch stärker unter die Haut geht als in dem Originalfilm „Possession“.

Abigail Reynolds arbeitet mit Fotografien aus Second-Hand-Führern. Die Serie Transposed zeigt historische Repräsentativräume, deren Architekturen merkwürdig konstruiert, ja grotesk erscheinen – ein Resultat von Reynolds‘ Bildbearbeitung. Sie hat die Bilder meist entlang der Mitte der Buchseite durchgeschnitten und die beiden Hälften danach ausgetauscht. Dabei hat sie grundsätzlich keine Bildinformation hinzugefügt oder weggelassen. Reynolds geht es darum, festgelegte Wahrnehmungen und Sehgewohnheiten in Frage zu stellen. Die Arbeiten sind eine Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Täuschungen des menschlichen Auges sowie mit den Grenzen des Kamera-„Auges“.

Julian Tapprichs Videoarbeit Coming Soon basiert auf einem Trailer zu dem Film „La pianiste“ von Michael Haneke. Tapprich setzt sich mit der Verweishaftigkeit von Trailern auseinander. Der Trailer zu „La pianiste“ verweist nicht nur auf eine Geschichte, sondern trägt auch selbst einen Verweis in sich. In einer mit Schubert-Musik unterlegten Szene kündigt die Pianistin (Isabelle Huppert) einen Brief an, der sofort erhalten und ihr gleich wieder vorgelesen wird. Diesen Closed-Circuit nimmt Tapprich auf: Der Brief wird immer wieder angekündigt und durch immer neu eingefügte literarische Texte verlängert. Durch den Mix der literarischen mit den Trailer-Texten ändern sich die Stimmung und der Tonfall des Vorlesers dauernd – eine Verfremdung, die auf die Verkürzung von Bild, Text und Ton in Trailern verweist.

(textliche Betreuung: Petra Noll)