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ANEIGNUNG II

RE-ENACTMENT - NEUKONTEXTUALISIERUNG

4. September 2012 – 29. September 2012

Bernhard Garnicnig (AT), Bettina  Henkel (AT), Gerda Lampalzer (AT), Sissa Micheli (IT), Rita Nowak (AT), Christopher Richmond (US), Benjamin Tomasi (IT)

BILDER | Kataloge | Schwerpunkt: ANEIGNUNG 2012

Eröffnung: Montag, 3. September um 19.00 Uhr
Einleitende Worte:  Petra Noll
Begleitprogramm: Werkpräsentation und Screening – G.R.A.M. (AT):
Donnerstag, 13. September um 19.00 Uhr

Auf Grund der aktuell bei zahlreichen KünstlerInnen im internationalen Kunstgeschehen erkennbaren Affinität für die Verwendung und Neukontextualisierung von vorgefundenem Material hat das kuratorische Team der FOTOGALERIE WIEN zusammen mit der Kunsthistorikerin und Kuratorin Petra Noll den diesjährigen Schwerpunkt ANEIGNUNG entwickelt. Geistige Basis ist die „Appropriation Art“ der 1970er-/1980er-Jahre, wo sich KünstlerInnen in erster Linie bereits existierende Kunstwerke konzeptuell „aneigneten“. Die dreiteilige Ausstellungsserie fasst die Thematik weiter und präsentiert Foto- und VideokünstlerInnen, die sich mit Found-Footage-Material aus den unterschiedlichsten Kontexten sowie mit Strategien des Re-enactments auseinander setzen und damit neue Perspektiven und Bildrealitäten eröffnen. Über die zentralen Themen der „Appropriation Art“ – Autorenschaft und Originalität – hinaus, geht es hier auch um Fragen der Repräsentation und Wahrnehmung, um gesellschafts- und kulturpolitische Auseinandersetzungen sowie um Geschichte, Erinnerung und Identität. Für das Thema Aneignung bieten die schon per se auf die Vergangenheit weisenden Medien ‚Fotografie‘ und ‚Film‘ eine zusätzliche Reflektionsebene.

In der zweiten Ausstellung zum Thema Aneignung geht es um die Strategie des Re-enactments. Die KünstlerInnen der Ausstellung gehen weit über die traditionelle Vorstellung des möglichst authentischen Nachstellens bereits vorhandener Inszenierungen (z.B. historischer Gemälde/Tableaux Vivants) hinaus. Sie eignen sich sowohl Materialien aus der Bildenden Kunst wie auch aus u.a. Film, Theater, Sprache und (Print-)Medien an, um sie über den Weg der Aktion, des Rollenspiels, des körperlichen Sich-Hineinversetzens in die Medien Fotografie und Film zu transferieren. Ihre künstlerische Arbeit ist die der Erforschung, Analyse und letztendlich Transformation, Neukontextualisierung und Neudefinition. Die Vorgehensweise ist dabei oft spielerisch, ironisch, frech, die Bandbreite der Themen komplex: Es geht um Medienreflexion, um Wahrnehmung, um Erzählstrukturen, um Realität und Fiktion, um „Original“ und „Reproduktion“ und letztendlich auch um die Auseinandersetzung mit Identität und gesellschaftlichen Normierungen.

Tableau Vivant/ Projektarbeit Akademie: Bettina Henkel, Künstlerin und Lehrende an der Akademie der bildenden Künste Wien im Medienbereich, zeigt stellvertretend für die Gruppe die filmische Arbeit Tableau Vivant, eine Gemeinschaftsarbeit Studierender der Akademie, die gemeinsam mit den Lehrenden Patrice Blaser, Friedemann Derschmidt, Ludwig Löckinger und Katharina Cibulka (Assistenz) 2009 realisiert wurde. Die Gruppe hat das Gemälde Szene aus einem Theaterstück des niederländischen Malers Hendrick Pot /1640) in historischen Kostümen getreu der Vorlage nachgestellt. Über das klassische „Tableau Vivant“ hinausgehend, wird die Szene auf der Filmebene „weitererzählt“ und damit ins Heute geholt. Die in ihren Bewegungen erstarrte Schauspielgruppe wird in einer langsamen Kamerafahrt abgetastet. Zuletzt werden aus den StatistInnen Agierende: Sie erheben sich, entwickeln ein lockeres Gespräch und verlassen den Bilderrahmen, um mit „ZeitgenossInnen“ in Kontakt zu treten – eine Arbeit, die sich mit den gruppendynamischen Prozessen des „Tableau Vivant“ sowie mit den erweiterten Möglichkeiten des bewegten Bildes auseinandersetzt.

Die in Wien und Niederösterreich lebende Medienkünstlerin Gerda Lampalzer setzt sich mit dem Verhältnis von Bild, Text und Sprache auseinander. In ihrem experimentellen Video Transformation (2009) werden in vier Kapiteln (Remontage/ Konversation/ Substanz/ Demonstration) Texte von fünf in ihren Muttersprachen (Tschechisch, Slowakisch, Ungarisch, Slowenisch, Italienisch) sprechenden Personen als Lautmaterial für eine Verwandlung zu Deutsch in Wort, Schrift und Bild verwendet. Durch speziell gesetzte Schnitte hat Lampalzer deren Texte in einer Weise neu zusammengesetzt, dass sie letztendlich deutsche Worte sprechen. Diese neu entstandenen deutschen Texte haben eine vom ursprünglich Gesagten unabhängige Bedeutung. Sie basieren auf der Verbindung von auditiven und visuellen Assoziationen der Künstlerin (Audiovision). Entstanden ist ein Video, das sich auf poetisch-heitere Weise à la Jandl mit sprachwissenschaftlichen Untersuchungen sowie mit Kommunikationsproblemen beschäftigt.

Für den aus mehreren Serien bestehenden fotografischen Werkkomplex Remind me – Rewind me (2007) hat Sissa Micheli (geb. 1975 in Bruneck/I., lebt in Wien) – inspiriert von Zeitungsberichten der New York Times – mit sich und Freunden Geschichten inszeniert. Die Fotografien tragen die Titel der Schlagzeilen, z.B. Victim of Apartment Fire Is Mourned by Neighbors. Die Arbeiten sind angesiedelt zwischen Realität und Fiktion: Die Zeitungsberichte geben nur einen Teil der Wirklichkeit und dies in interpretierender Weise wieder; Micheli ergänzt ihre subjektiven Assoziationen und Emotionen und inszeniert die Personen auf rätselhaft-surreale, manchmal dramatische oder auf ganz alltägliche Weise in den unterschiedlichsten Stimmungen im Raum. Was genau passiert ist, bleibt unklar. Dadurch gelingt es Micheli, Spannung aufzubauen; die BetrachterInnen werden zu ErmittlerInnen nach dem Hintergrund dieser uneindeutig-geheimnisvollen Erzählungen. Michelis fotografische Bildgeschichten konfrontieren mit der Frage nach Sinn und Wahrheit von Texten und Fotografien. Sie sind aber auch eine Auseinandersetzung mit Zeit und Raum sowie mit der (eigenen) Identität

Rita Nowak
s (geboren 1979 in Wels, lebt in Wien) Fotoarbeiten basieren auf Re-enactments meist jeweils eines konkreten Meisterwerks der Kunstgeschichte. Dabei werden die Nachinszenierungen nie wörtlich aufgefasst; eindeutigen Aufschluss gibt manchmal nur der Titel. Nowak verzichtet auf alle historisierenden Elemente. Sie inszeniert ihre (Künstler-) FreundInnen in Alltagskleidern und mit zeitgemäßen Requisiten an gewöhnlichen Orten, die auf das Umfeld der ProtagonistInnen deuten. Ihre scheinbar spielerisch-leichten Arrangements resultieren aus dem Agieren der Personen im Raum. Nowak untersucht, wie sich Aussagen auf Grund von Neukontextualisierung verschieben können. Zudem geht es um die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Fotografie  und Malerei/ Skulptur sowie mit Identität bzw. Geschlechterrollen.

Christopher Richmond (1986 geboren in La Jolla/USA, lebt und arbeitet in Los Angeles) zeigt zwei Filme, die sich mit Erzählstrukturen, Dramaturgie und Montagetechnik von Hollywoodfilmen auseinander setzen. The Yellow Eye Without Its Way Twice-Told  rekurriert auf eine kollektive Vorstellung vom Genre „Western“ und bricht gleichzeitig mit dessen Blicktradition. Richmond verweigert die konventionell-lineare Weise des Geschichtenerzählens, vielmehr greift er eine einzige Kinoszene heraus und stellt sie nach: Ein junger Mann beobachtet einen älteren beim Reinigen seines Gewehrs, während im Hintergrund ein schnaubendes Pferd in einem Gatter hin- und herläuft. Richmond lädt die Situation atmosphärisch so auf, dass eine Erwartungshaltung und Spannung entsteht, die nicht – wie im Western – aufgelöst wird. An diese Szene hängt er zum Schluss eine Sequenz aus einem alten Film an, der einen Falkenflug zeigt, wodurch die Story noch rätselhafter, aber umso assoziativer wird.

Benjamin Tomasi
und Bernhard Garnicnig (geb. 1978 in Bozen bzw. 1983 in Bregenz, leben in Wien) zeigen eine medienübergreifende Installation, deren Zentrum das Video Soundscape Synthesis for John Smith’s Girl Chewing Gum (1976) bildet. Die Arbeit ist Bestandteil eines langjährigen Werkkomplexes (Ast fällt auf Tonspur), in denen die Künstler sich mit Darstellungs- und Visualisierungsstrategien von Pop Musik und experimentellen Sounddesigns auseinandersetzen. Der zugrunde liegende Kurzfilmklassiker von Smith wird von den beiden Künstlern neu vertont. So wie John Smith die Off-Stimme erst nachträglich, mitten in der Natur stehend, eingespielt hat, zeigt das Video die Künstler, wie sie in einem Foley-Tonstudio den für den Betrachter unsichtbar bleibenden Film von Smith fixieren und dabei mit alltäglichen Gerätschaften eine neue Geräuschkulisse aufnehmen. Die aus dieser kuriosen Performance entstandenen Geräusche werden nicht übertragen, so dass für den Betrachter letztendlich Sound und Story offen (für Assoziationen) bleiben.

(textliche Betreuung: Petra Noll)