Categories
Ausstellungen Werkschau

WERKSCHAU IX – FRIEDL KUBELKA

Arbeiten 1963–2003

22. Juni 2004 – 29. Juli 2004

Friedl Kubelka (AT)

Kataloge |

Eröffnung mit Filmvorführung: Montag, 21. Juni, 19.00 Uhr

Einleitende Worte: Dr. Otmar Rychlik

Werkstattgespräch mit Filmvorführung: Donnerstag, 29. Juli, 18.00 Uhr

WERKSCHAU IX ist die Fortsetzung der seit neun Jahren jährlich stattfindenden Ausstellungsreihe der FOTOGALERIE WIEN, welche zeitgenössische KünstlerInnen präsentiert, die wesentlich zur Entwicklung der künstlerischen Fotografie und neuen Medien in Österreich beigetragen haben. Gezeigt wurde bisher ein Querschnitt durch das Schaffen von Jana Wisniewski, Manfred Willmann, VALIE EXPORT, Leo Kandl, Elfriede Mejchar, Heinz Cibulka, Renate Bertlmann und Josef Wais. Für die WERKSCHAU IX wurde die Künstlerin Friedl Kubelka eingeladen.

Schnitte durch Raum und Zeit: Unvermeidlich nimmt die Kamera sie vor durch die Wahl des Moments der Aufnahme und des Standpunkts. Jedes fotografische Bild durchtrennt den Fluss der Zeit, sondert ein Vorher von einem Nachher ab, die nicht zur Darstellung kommen. Der eingeschlossene Bildraum verweigert sich dem Umfeld, schneidet es einfach ab.

Friedl Kubelkas Werk ist eine beständige Auseinandersetzung mit diesen immanenten Vorgaben des fotografischen Mediums – hier in der Retrospektive, die so vieles umfasst, das sie bisher nicht gezeigt hat, wird es besonders deutlich. Dass sich die meisten ihrer Arbeiten auf den ersten Blick gegen diese Einschränkungen richten, sie vom Aufheben solcher Zwänge und Ausschließungen sprechen, lässt ihre Beschäftigung damit nur umso deutlicher werden.

Friedl Kubelkas bekannteste Werke, die Tages– oder Jahresportraits, insistieren geradezu darauf, sich durch Repetition dem Druck des einmaligen Augenblicks, der Besonderheit des Zeitpunktes der Aufnahme zu entziehen. Durch ihre Reihung gewinnen die einzelnen Fotografien eine zeitliche Dimension, so scheint es. Doch viele hintereinander entstandene Bilder ergeben keinen Film – und eine „Reportage” mit ihren Spannungsmomenten, der Illusion einer „Handlung” würde wiederum von einer Spontaneität des Fotografierens sprechen, der Friedl Kubelka kein Vertrauen schenkt, kein Vertrauen schenken kann.

Von Bild zu Bild trägt kein „Geschehen”, sondern verfließende Zeit und die zwischen Fotografin und Modell hergestellte Übereinkunft den Rhythmus der Aufnahmen, ein Rhythmus, der für beide Beteiligten bis an die Grenzen des Erträglichen reichen kann: Nicht ein Ausschnitt, sondern viele Schnitte – werden sie deshalb weniger schmerzhaft? Oder dürfen wir der Assoziation mit einem Schnitt durch lebendiges Gewebe, der zu wissenschaftlichen Vergleichszwecken mehrfach wiederholt wird, nachgeben?
Dass Friedl Kubelkas Vorgehen etwas Analytisches hat, etwas von wissenschaftlicher Präzision und dadurch auch Distanz vom „Objekt” ihrer Beobachtung, lässt sich auch für jene Werke feststellen, die lange Zeit vor ihrer aktiven Entscheidung für eine Ausbildung zur Psychoanalytikerin entstanden sind. Und lassen wir uns nicht täuschen: Die Strenge des Konzepts der Friedl Kubelka will sich nicht vergleichen lassen etwa mit jener einer VALIE EXPORT, der die Erweiterung der räumlichen und zeitlichen Möglichkeiten der Kamera etwa im selben Zeitraum ein wichtiges künstlerisches Anliegen gewesen ist. VALIE EXPORTS Konzepte sind so definiert, dass die eigenhändige Ausführung durch die Künstlerin nicht notwendig ist – was bei Kubelka undenkbar wäre; ihre Präsenz als Gegenüber des Modells, als Notierende ist unabdingbar, ist Teil des Konzepts.

Ganz bewusst hat Friedl Kubelka, als sie gebeten wurde, für ein Buchprojekt Gemeindebauten zu fotografieren, nach einer Möglichkeit gesucht, eine ähnlich präzise, distanzierte Aufnahmetechnik zu entwickeln. Sie hat lange gebraucht, um auf die Idee zu kommen, dass sie den Aufnahmerhythmus der „Portraits” in eine Regel der Äquidistanz übersetzen könnte, die ihr wiederum erlaubte, den eindeutigen, einmaligen Standpunkt dadurch zu vermeiden, dass sie die Produkte vieler Standpunkte (und damit auch Zeitpunkte) verbindet: Doch wiederum beharrt die Fotografin zwar auf der Form, die das Konzept vorgibt, aber behält sich Freiheiten innerhalb der Ausführung vor: Das Verstreichen der Zeit zwischen den Aufnahmen beschreibt nur scheinbar die Dauer des Weges zwischen den einzelnen Kamerastandpunkten – was der Betrachter auf den ersten Blick allerdings so empfindet. Die Unterschiedlichkeit der Lichtverhältnisse deutet aber darauf hin, dass kaum regelmäßige Zeitspannen zwischen den Momenten des Fotografierens gelegen haben können. Doch um das zu erkennen, müssen wir selbst eine ganze Weile Zeit in das Betrachten der Architektur-Montagen der Künstlerin legen, ihrem hypothetischen Weg den Bauten entlang folgen, wie sie den Blick immer weiter nach oben gleiten lassen.

Diese Vorgangsweisen hat sich Friedl Kubelka geradezu
konträr zu ihrer ursprünglichen Ausbildung erarbeitet: Die Schulung an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt musste als Vorbereitung zur Arbeit als Berufsfotografin „produktorientiert” sein, das „spannende” Bild als Ergebnis, leicht lesbar und nachhaltig eindrücklich, war das Ziel. Dass sie viele Jahre später, als sie selbst das Konzept für eine Fotoschule erarbeitete, genau dies nicht von ihren Schülern forderte, dass Vielschichtigkeit und Intensität ihre Vorgaben darstellten, gehört mit zu dem weiten Feld, als das Friedl Kubelka ihre Arbeit als Psychoanalytikerin, Künstlerin und Lehrerin vermisst und ständig erweitert. Dazu gehört auch, dass sie sich – im Gegensatz zu anderen Absolventen der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt, die eine künstlerische Laufbahn eingeschlagen haben – der Fotografie als „Profession”, als Auftragsarbeit nicht prinzipiell entziehen wollte und entzog. Dass die komplexen Ergebnisse – etwa ihrer Versuche mit der Modefotografie – nicht den gängigen Vorstellungen entsprechen konnten, kann allerdings auch nicht verwundern. Auch hier hat sie Aufnahmen, die hintereinander entstanden sind, neben- oder gegeneinandergestellt, um dem Modell mehr Raum und Zeit zu überlassen. Dem raschen Erfassen der modischen Requisiten der Bilder konnte ein solches Vorgehen kaum dienen, anscheinend hat Friedl Kubelka diese im Blick auf die Frauen, die sie für die Zusammenarbeit gewinnen konnte, auch „aus den Augen verloren”.

Doch auch die Einzelbilder, die die Menschen aus Friedl Kubelkas nächster Umgebung zeigen, Verwandte oder Freunde, bewunderte Filmemacher, denen sie im Laufe der Jahre begegnet ist, vermitteln niemals das Gefühl, aus einem Moment heraus entstanden zu sein: Jene Idee vom „entscheidenden” Moment, die sich während ihrer Ausbildungszeit wie eine Doktrin für aufgeklärtes Bildermachen mit der Kamera durchsetzen konnte und die rasche visuelle Auffassungsgabe als (auch) ethische Erkenntnismöglichkeit postulierte, vermied (und vermeidet) Friedl Kubelka anscheinend geradezu panisch. Für ihre Offenheit spricht allerdings, dass sie ihre Schüler in der „Schule für künstlerische Fotografie” nicht von einer solchen Vorgangsweise bewusst abzuhalten versucht.

Das ließe sich auch nicht leicht vorstellen: Denn Respekt vor dem Vis-à-vis ist eine der grundlegenden Eigenschaften der Künstlerin, der zugleich Freiraum für das „Modell” schafft, wie er auch eine körperliche und geistige Relation zur Künstlerin definiert und präzisiert: Zeit und Raum der Bilder vermessen spürbar verfließende Lebenszeit und abgeschrittenen Raum der Künstlerin, deren Anwesenheit auf diese Weise in der Ausstellung in der FOTOGALERIE WIEN beeindruckend deutlich wird, obwohl auf ihren eigenen Wunsch hin keines der großformatigen vJahresportraits” in die Retrospektive Eingang fand. Diese geradezu körperliche Präsenz der Künstlerin innerhalb einer auf den ersten Blick ausschließlich konzeptionellen Vorgangsweise, ihre Möglichkeiten, sich und anderen nahsichtig zu begegnen, ohne ihnen in voyeuristischer Weise „nahezutreten”, müssen gerade zu einem Zeitpunkt so besonders wirken, in dem Distanzlosigkeit und Schnelllebigkeit so offenkundig das Feld beherrschen.

(textliche Betreuung: Monika Faber)