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Ausstellungen

RITUALE II

ZEREMONIEN

26. November 2019 – 11. Jänner 2020

Carla Della Beffa (IT), Nicole Haitzinger (AT), Orit Ishay (IS), Helmut & Johanna Kandl (AT), Julian Lee-Harather (US), Anja Manfredi (AT), Benedek Regős (HU), Gabriele Rothemann (AT), Yaroslav Solop (UA), Dafna Tal (IS), Boglárka Éva Zellei (HU)

BILDER | Kataloge | Schwerpunkt: RITUALE 2019 / 2020

Eröffnung: Montag, 25. November, 19.00 Uhr
Einführende Worte: Petra Noll-Hammerstiel

sponsored by: BKA Österreich; MA7-Kultur; Cyberlab
Dank an: Igor Manko, Charkow, Kurator bei VASA Project;
Avi Sabag, MUSRARA, The Naggar Multidisciplinary School of Art and Society, Jerusalem

Rituale sind ein wichtiger Bestandteil des Ausdrucks- und Kommunikationsverhaltens des Menschen und sagen viel aus über Werte, Rollenverständnis und das soziale Miteinander, in dem sie häufig eine regulierende, unterstützende Funktion einnehmen. Die komplexe Inhaltlichkeit und große Bedeutung des Rituals für den Menschen hat das kuratorische Team der FOTOGALERIE WIEN dazu inspiriert, einen Schwerpunkt mit vier Ausstellungen mit internationalen KünstlerInnen in den Jahren 2019/2020 zu konzipieren. Der Begriff „Ritual“, ursprünglich nur im liturgisch-zeremoniellen Kontext üblich, wird heute für alle gesellschaftlichen Bereiche verwendet. Das Ritual ist eine nach vorgegebenen Regeln und meist in festgelegter Reihenfolge durchgeführte Handlung mit primär identitäts- und sinnstiftendem Ziel, d.h. mit dem Wunsch nach Orientierung, Erkenntnis und gemeinschaftlichem Handeln. Es setzt sich ab von alltäglichen Gewohnheiten bzw. instrumentellen, regelmäßigen und vor allem zweckorientierten Tätigkeiten, denen aber ein „ritueller Charakter“ zugeschrieben werden kann. Das Ritual besetzt somit vor allem den geistigen und emotionalen Raum. Charakteristisch sind zudem Inszenierung, Prozessualität und meist hohe Symbolhaftigkeit.
Die vier Ausstellungen beschäftigen sich mit gesellschaftlichen Ritualen und den damit einhergehenden Beziehungsgeflechten; mit Ritualen, in denen sich Machtdemonstration, Unterdrückung und Ausgrenzung artikulieren, sowie mit religiösen und anderen zeremoniellen Ritualen. Im Zuge dessen werden die mit den verschiedenen Ritualen verbundenen Codes, Haltungen und Kommunikationsformen untersucht.

Im Fokus der zweiten Schau des Schwerpunkts „Rituale“ stehen religiöse, aber auch profane Zeremonien verschiedener Kulturen. Der Ablauf von Ritualen wird bestimmt von meist feierlichen Zeremonien, die in Form festgelegter Ordnungen, Handlungen, Gebärden und Haltungen und zum Teil unter Zuhilfenahme von Objekten, Bildern und Zeichen mit großem Identifikations- und Symbolcharakter für die Ritualteilnehmer durchgeführt werden. Rituelle Zeremonien haben die Kraft, die Hoffnung auf die Erfüllung des jeweiligen Wunsches zu intensivieren. Meist spielen der herausgehobene Anlass und der besondere Ort sowie die Reise zu diesem Ort als Teil der Zeremonie eine zentrale Rolle. Die künstlerischen Arbeiten beschäftigen sich mit religiösen und weltlichen Zeremonien bei Transformations- und Initiationsritualen, durch die Menschen einen anderen Bewusstseinszustand erreichen, sowie bei Heilungs-, Trauer- und Danksagungsritualen. Die Künstler:innen widmen sich einerseits mit dokumentarisch-authentischen Beiträgen der Thematik, andererseits mit symbolhaft-verdichteten Arbeiten, wobei sich häufig religiöse und profane Verweise vermischen sowie Traditionen in neue Konstellationen in die Gegenwart geführt werden.

Das im Video Rituali von Carla Della Beffa zelebrierte Schneiden von Brot und das Einschenken von Rotwein verweisen auf uralte rituelle Praktiken zahlreicher Kulturen. Im Alltag stehen Brot und Wein symbolhaft für das Zubereiten eines Mahls, das gemeinsame Essen, Feiern und Gastfreundschaft; sie sind zudem in vielen Religionen von großer Bedeutung. In der christlichen Kirche werden sie in einem symbolträchtigen Ritual, dem Abendmahl, dargebracht und miteinander geteilt. In dem Video von Della Beffa geht es nicht nur um das Anbieten und Teilen, den Kern des Rituals, sondern auch um die Problematik von Überfluss und Mangel.

Orit Ishay arbeitet häufig mit Relikten und Symbolen, speziell in Bezug auf Blumen. In der Fotoserie aus der Werkgruppe Terribly Pretty geht es um den Kranz, dem verschiedenste kulturelle, soziale, historische und religiöse Bedeutungen und die damit verbundenen Rituale zugrunde liegen. Die achtteilige Serie besteht aus SW-Fotos von Blumen-Trauerkränzen für Soldaten, die auf zunehmend dunkler werdenden grauen Hintergründen montiert sind. Ohne Information bleibt offen, ob es sich um weltliche oder religiöse Kränze, um Kränze für freudige oder traurige Anlässe handelt. Es wird spürbar, wie nahe beieinander Freude und Trauer, Schönheit und Schrecken, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Leben und Tod liegen.

Das Zweikanalvideo Pygmalion von Helmut & Johanna Kandl beschäftigt sich mit der Wirkmächtigkeit von Bildern im Zusammenhang mit Marienwallfahrten. Ein Video wurde in einer Manufaktur in Lourdes aufgenommen, in der Repliken der (Lourdes-) Madonna und anderer Heiliger als Massenware produziert werden. Ein zweites Video zeigt, wie diese Figuren durch die Verehrung der Gläubigen „lebendig“ und „beseelt“ werden. Helmut & Johanna Kandl haben weltweit Marienwallfahrtsorte besucht und die jeweils ortsspezifischen Verehrungsrituale aufgezeichnet. Die Tonspur nimmt Bezug auf die Operette „Die schöne Galathée“ von Franz von Suppé, in der der Mythos des antiken Bildhauers Pygmalion, bei dem eine von ihm geschaffene Skulptur lebendig wurde, verarbeitet ist.

Julian Lee-Harathers vierteilige Fotoserie Die Zeiten nach Philipp Otto Runge versteht sich als digitale Reinszenierung bzw. Neuinterpretation einer traditionellen Bildsprache der Malerei in Form der Fotocollage. Als Referenz dienten Skizzen zu einem geplanten mythologisch-allegorischen Tageszeiten-Zyklus des frühromantischen Malers Runge. Lee-Harather hat die einzelnen Elemente (mit Ausnahme der Tiere) fotografiert und – in einer ähnlichen Komposition und Atmosphäre wie Runge – montiert; neu sind der aktuelle Zeitbezug und die Loslösung von religiösen Motiven. Die Arbeit beschäftigt sich mit Symbolen als prägnanten Zeichen für rituelle Vorgänge und Handlungen.

Anja Manfredi zeigt den Film Mit dem Abend beginnt der Tag sowie die Baryt-Fotoarbeiten Hand und Atlas ll und III aus dem Projekt Geste und Atlas, begleitet von einem Text von Nicole Haitzinger. In den Arbeiten werden sakrale Orte in Israel und im Atlasgebirge in Marokko mit der Performance von Gesten in Beziehung gesetzt. Untersucht wird das Verhältnis von Religion und Körper – nicht nur mit Blick auf die – nonverbale – Geste als Teil von Ritualen, sondern auch in Bezug auf ihre materialisierte Form, die Architektur, und ihre Verdichtung, die Hand. Diese taucht hier als Hamsa, als schützende Hand der Fatima (Islam) auf, die ihre Pendants in der Handgeste der Miriam (Judentum) und der Maria (Christentum) hat.

In Benedek Regös’ Fotoserie Objects of Gratitude geht es um den Ex Voto-Kult, einem uralten sozialen und religiösen, meist mit Volksfrömmigkeit verbundenen Ritual in vielen Kulturen. Einer überirdischen Macht werden aus Dankbarkeit oder in Erfüllung eines Gelübdes („ex voto“) Votivgaben als symbolische Opfer gewidmet, die auf Wallfahrten zeremoniell in einer kultischen Stätte platziert und verehrt werden. Hinter der Symbolik der Votivgaben steht jeweils eine persönliche Geschichte, meist die einer wundersamen Rettung aus einer Notlage. Regös hat nachgebildete Körperteile bzw. Gussformen von Körperteilen sowie Heiligenfigürchen fotografiert.

Gabriele Rothemann hat sich mit Grablegungsritualen in der Antike und im frühen Christentum beschäftigt und daraus u.a. die Fotoserie Fatschen realisiert. Unter einer Fatsche wird vor allem eine mit Bändern umwickelte (“gefatschte”) Votivskulptur des Jesuskindes verstanden. Dieses Motiv hat sich Gabriele Rothemann angeeignet und – nicht ohne Ironie – zu ebenso mysteriösen wie auch sehr intimen Bildern transformiert. Für die Serie wurden Tiere – hier gezeigt wird Fatsche V, eine Katze – sowie ein Teddybär liebevoll in Pelze gewickelt. Ein Bezug zu ägyptischen Tiermumien und den damit verbundenen Bedeutungen, Symbolen und Riten ist offensichtlich.

Yaroslav Solops Fotoprojekt The Last Haven zeigt Heiligenbilder, Statuen und Kruzifixe, platziert an allen nur erdenklichen, auch skurrilen privaten und öffentlichen Orten in der Ukraine. Menschen suchen innerhalb ihrer täglichen Lebensgewohnheiten das Zusammentreffen mit ihnen wichtigen Devotionalien und einen damit verbundenen Moment der Andacht – viele kleine Zufluchtsorte abseits der Institution Kirche. Das Projekt spricht von „… Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit, von der Suche nach neuen Bedeutungen in einer postsowjetischen Gesellschaft, in der die Religion die … kommunistische Ideologie abgelöst hat und zu einer Phantomhoffnung … geworden ist. (Y.S.)“

Für ihre Videoinstallation You Don’t Have To Do A Thing hat Dafna Tal in einem Studio in Jerusalem ortsansässige Menschen verschiedener Religionen und kultureller Hintergründe den traditionellen Gebetsgesängen der drei dort vertretenen Hauptreligionen – Christentum, Islam und Judentum – ausgesetzt. Von deren mimischen und gestischen Reaktionen der Ablehnung und Zustimmung wurden drei Videoporträts angefertigt. Die unterschiedlichen religiösen und kulturellen Hintergründe der Teilnehmer:innen bleiben den Zuschauern verborgen, wodurch zahlreiche Interpretationen möglich sind, aber auch ähnliche Reaktionen religionsübergreifend festgemacht werden können.

Boglárka Éva Zelleis Fotoserie Furnishing the Sacred beschäftigt sich mit den Ritualen der Immersions- (Ganzkörper-)Taufe heutiger christlicher Gemeinschaften in Ungarn. Obwohl die Immersionstaufe eine uralte Tradition hat, variieren die Zeremonien in den verschiedenen Orten. Zudem realisieren die Gemeinden in Bezug auf die Gestaltung der Innenräume ihre eigenen, sich von ursprünglichen Bräuchen entfernenden Geschmacksvorstellungen. Das Ambiente wirkt teilweise skurril, aber immer auch sehr persönlich, intim und authentisch – eine Zeremonie, bei der sich die Menschen „wie zu Hause“ zu fühlen scheinen und dennoch der transzendenten Welt nahe sind.

(textliche Betreuung: Petra Noll-Hammerstiel)