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Ausstellungen

MIRO MONDO

27. November 2018 – 19. Jänner 2019

Dominik Buda (AT), Antye Guenther (DE), Paul Horn (AT), Harald Hund (AT), Kevin Kirwan (IE), Jana Müller (DE), Claudia Rohrauer (AT), Doris Schmid (CH), Levi Van Leuw (NL)

BILDER |

Eröffnung: Montag, 26. November 2018, 19.00 Uhr
Einführende Worte: Petra Noll-Hammerstiel

sponsored by: BKA Österreich, MA-7 Kultur, Cyberlab


Die KünstlerInnen der Ausstellung Miro Mondo eröffnen wunderliche, mysteriöse, manchmal surreal-fantastische Welten, die unser vorgeprägtes Bild von Welt irritieren. Zum einen sind Situationen inszeniert bzw. mit Versatzstücken der Realität zu neuen, ungewöhnlichen Bildwelten montiert. Dies geschieht beispielsweise durch die Negierung physikalischer Gesetze wie der Schwerkraft sowie vorgeprägter Definitionen von Raum, wodurch Gleichgewicht und Ordnung ins Wanken gebracht werden. Zum anderen gibt es Bilder aus der (manchmal nächtlichen) Wirklichkeit, die durch bestimmte Lichtereignisse mystisch wirken, oder auch von seltsamen Orten, die zwar existieren, aber niemals oder selten gesehen werden oder scheinbar das Leben auf dem Mars beweisen. Ebenso führt das Rätselhafte, das kriminalistischen Fällen eigen ist, zu assoziationsreichen Arbeiten zwischen Realität und Fiktion. Auch mit (pseudo-)wissenschaftlichen Verfahren, speziellen Bildtechniken und performativen Interventionen werden irritierende Situationen geschaffen. Es stellt sich die (fotografische) Frage: Was ist Realität und was Inszenierung – und ist die Inszenierung nicht auch Realität?

Dominik Buda zeigt in seinem Künstlerbuch Vollzeit zwölf in mondlosen Nächten entstandene Bilder von leuchtenden Turmuhren in Wien. Vom richtigen Standpunkt aus fotografiert, erinnern einige aufgrund ihrer hohen Position an einen Vollmond. Es entsteht – auch durch die bewusst gewählte Technik der Schwarz-Weiß-Kopie, die die Bildqualität stark vermindert – die Illusion einer glaubhaften Situation, einer romantischen Vollmondnacht, die vor allem im letzten Bild aufgeht. Buda verweist hiermit auch auf die auf Zeitungspapier gedruckten Pressefotos, die ohne beschreibenden Kontext oft nicht deutlich erkennbar sind. Zudem enthalten diese Bilder zwischen Realität und Fiktion zahlreiche Verweise auf den Mond, der durch seine Zu- und Abnahme selbst Zeitanzeiger ist sowie als beeinflussender Faktor des irdischen Lebens gilt, was ihn wiederum zu einem Bilderdruck bei Vollmond veranlasst hat. Die Auflage von 40 Stück entspricht der  üblichen „vollen“ Arbeitszeit, also 40 Stunden pro Woche.

Prosthesis – Simulation kit of externalised human brain tissue von Antye Guenther setzt sich mit dem zeitgenössischen Verlangen nach Hirnleistungssteigerungen aus semi-faktischer Perspektive auseinander und hinterfragt mögliche Konsequenzen, die eine Erhöhung der Hirnfunktion sowohl für den Einzelnen als auch für (zukünftige) Gesellschaften nach sich ziehen könnte. Das Narrativ einer südkoreanischen Forschungsgruppe, die begonnen hat, mit der Externalisierung von zur Proliferation angeregter Hirnsubstanz zu experimentieren – basierend auf der Annahme, dass neuronale Regeneration, Proliferation und Konnektivität in der neurowissenschaftlichen Literatur umfangreich beschrieben wurden – wird innerhalb einer Performance-Lecture aufgefaltet. Diese wird sich auch mit externalisierter Hirnmasse als Modeerscheinung und den Problemen, die das zunehmende Auftreten von chinesischen Bootleg-Versionen nach sich ziehen werden, beschäftigen. Wenn wir unsere Körper so einfach verändern können wie wir unsere Kleidung wechseln, was sollte uns davon abhalten, genau dies dann auch zu tun?

In ihren Filmen führen Paul Horn und Harald Hund lustvoll räumliche Verhältnisse, physikalische Gesetze und die gängige Vorstellung von Normalität ad absurdum. Das zehnminütige Video Apnoe – Teil der „Wohnserie“, in der sie aufwändig Alltagsstiuationen von Menschen unter absurden Bedingungen inszeniert haben –, beschreibt vordergründig den Tagesablauf einer „normalen“ Familie. Diese ist jedoch geänderten Schwerkraftbedingungen unterworfen und hat somit große Probleme bei der Bewältigung ihrer alltäglichen Tätigkeiten wie Essen, Zähneputzen oder Frühstücken. „Das Familiengefüge gerät allmählich ins Wanken und vorgeprägte Muster und Verhaltensweisen beginnen sich aufzulösen. Hund & Horn entwerfen mit dem Film eine Art Mikrodrama, das mittels Absurdität und Slapstick und vor allem ohne Belehrung den Schorf der vermeintlich heilen Welt abkratzt.“ (Irene Müller)

Die Serie Heavyside von Kevin Kirwan bezieht sich auf einen Krater auf der Rückseite des Mondes. Dieses Andere, die unsichtbare, bedrohliche Seite von etwas sonst Vertrautem zieht sich durch die gesamte Serie, bestehend aus Fotos, Video und Objekt, und erzeugt eine melancholische Spannung. Diese findet sich ähnlich in den meditativen, vielseitig interpretierbaren Landschaftsaufnahmen von Heavyside. Viele der in den Fotografien und auch in dem Video Cathedral Rock gezeigten Orte sind ruhig und kontemplativ: von einem mit Flechten bedeckten Friedhof in der Nähe eines buddhistischen Tempels in Japan bis zu einem Zierbau aus dem 19. Jahrhundert im Park eines Vororts von Dublin. Diese monochromatischen Szenarien erinnern an Bilder aus der Horrorliteratur des 20. Jahrhunderts, die ihre Wurzeln in der örtlichen Historie und Psychogeografie haben und leise mit den an der Oberfläche kaum sichtbaren, geisterhaften Spuren der jüngsten Geschichte mitschwingen.

Die Arbeiten von Jana Müller basieren auf systematisch von ihr angelegten Bildarchiven von Objekten, wobei durch ihre künstlerische Bearbeitung eine zunehmende Abspaltung des Abbildes von der Realität eintritt. „Stattdessen treten Bilder als Zeichen auf, die parallel oder gemeinsam mit den Dingen im beengten Milieu aquarienhafter Kuben oder zwischen Glasscheiben wie Proben unterm Mikroskop präsentiert werden.“ (Susanne Prinz) Jana Müller scheint sich zu den dunkelsten Seiten des Menschen und der Gesellschaft hingezogen zu fühlen, ebenso wie zu allen Manifestationen des Unbewussten und Unheimlichen, besonders wenn sie hinter der Fassade der Normalität lauern. Die in der FOTOGALERIE WIEN präsentierte Installation, auf der Basis von Fotografien eines Pressearchivs aus Los Angeles, führt den Besucher in einen hypothetischen Tatort, in dem Objekte und Bilder als rätselhafte Indizien erscheinen; Spuren, die den Betrachter auffordern, sich bei der Suche nach der Wahrheit, die real oder mutmaßlich ist, frei in Beziehung zu setzen.

Claudia Rohrauer interessiert sich für den scheinbaren Beweischarakter, der dem Sofortbild wohl aufgrund der Unmittelbarkeit der Bildentstehung in besonderem Maße zugeschrieben wird. Als Basis ihrer Arbeiten (Evidence, Twin Sun) dienen ihr persönliche Reisebilder. Jene eigentümliche Aura, die der Sofortbild-Ästhetik anhaftet, verselbstständigt sich während der Entwicklungszeit: Solarisationen und Fehlfarben, chemische Manipulationen durch den Hersteller und handwerkliche Fehlgriffe, wie unbeabsichtigte Doppelbelichtungen, transformieren den klassischen Reiseschnappschuss weg von der Abbildung eines tatsächlich existierenden Ortes. Der ursprüngliche Eindruck wird derartig verfremdet, dass im Zusammenspiel mit der Imagination fast schon automatisch utopisch-dystopische Vorstellungen provoziert werden. Die Sofortbilder werden zu un-möglichen Dokumenten, die jegliches Bedürfnis nach einem Wahrheitsversprechen der Bilder ins Absurde führen. Und dennoch könnte für den Bruchteil einer Sekunde das „Es-ist-so-gewesen“ – ein Hauch von Realität – blitzartig auftauchen und im selben Moment wieder verschwinden.

In ihrer filmischen Installation Ich floh davor ins Kino, wo die Farben besser waren als in der Realität rekonstruiert Viktoria Schmid das Verfahren des Physikers James Clerk Maxwell, mit dem 1861 das erste Farbfoto auf Basis des additiven Farbmischverfahrens entstand. Schmids Arbeit überträgt das frühe fotografische Farbfilmverfahren als Filminstallation in den Raum. Der gleiche Bildausschnitt wird dreimal hintereinander in derselben, fixen Kameraeinstellung durch je einen grünen, blauen und roten Farbfilter auf 16mm-Schwarz-Weiß-Film belichtet. Dadurch weicht jede Aufnahme zeitlich voneinander ab und resultiert in einer Abweichung der herkömmlichen Farbdarstellung. Die Filme werden als Loops durch den jeweils entsprechenden farbigen Filter projiziert und in unterschiedlichen Stadien des Überlappens auf drei Projektionsebenen sichtbar. Beim Erkunden des Installationsraums erläutert sich das Verfahren den BesucherInnen. Durch ihre Interpretation des wissenschaftlichen Farbfilmverfahrens erschafft Schmid einen wundersamen Raum, indem das Wasser in Farben fern von der Alltagswahrnehmung glitzert.

The Collapse of Cohesion ist eine Kurzfilmserie von Levi van Veluw auf der Basis von Zeichnungen; eine davon zeigt einen Raum mit extrem hohen Regalen, in denen mehr als 1500 Ikosaeder platziert sind. Das gesamte Gefüge wird durch die Regalkonstruktion und die Schwerkraft zusammengehalten, wobei ein ständiger Urkampf zwischen dem Wunsch nach Ordnung und den Kräften der Natur stattfindet. Plötzlich wird dieses Gleichgewicht gestört und die Regale beginnen zu kippen. Die symmetrischen Formen der Ikosaeder geraten außer Position, die Schwerkraft übernimmt, die Ordnung wird zum Chaos. In Zeitlupe gefilmt wird der nur wenige Sekunden dauernde Moment zu einem minutenlangen Schauspiel und schafft eine neue Realität. Die Ikosaeder schweben rotierend durch die Luft, das Glitzern des Lichts, das auf ihren Flächen reflektiert wird, enthüllt deren Symmetrie in ihrer ultimativen Form – völlig frei, auf der Suche nach einer neuen Ordnung.

Petra Noll-Hammerstiel für die FOTOGALERIE WIEN