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Ausstellungen

JÜRGEN SPILER / PEATC VOSSMANN

2. Feber 1995 – 25. Feber 1995

Jürgen Spiler (DE), Peatc Voßmann (DE)

Objekte aus der „quick-fix-Kollektion“ von Peatc Voßman und „Fotomaterialarbeiten“ von Jürgen Spiler
Die Bezeichnung „quick-fix“ ist dem Amerikanischen entlehnt und bedeutet soviel wie „Schnellreparatur“. Auf die Arbeiten von Peatc Voßmann (*1949) übertragen, könnte man von einer „schnell zusammengesetzten“ Kunst sprechen. Für diese ist allerdings weniger der zeitliche Aspekt der Herstellung von Bedeutung, als vielmehr ein mechanischer Kontext, der durch die Titelwahl assoziiert wird. Das endgültige Objekt besteht aus vielen Einzelteilen, die Teil an Teil gefügt, erst gemeinsam als Ganzes funktionieren. So drängt sich der Vergleich mit einer Maschine auf, die auch erst in Betrieb genommen werden kann, wenn jedes Rädchen an seinem Platz ist. Nur daß bei Peatc Voßmanns Objekten „Funktionieren“ und „lnbetriebnahme“ nicht ein kinetisches Moment, eine bewegte Produktivität meint, sondern eine statische Anschaulichkeit. Das „quick-fix-Kunst-werk“ funktioniert, indem es Blicke fixiert und den Betrachter in Bewegung setzt.

Auch die „Fotomaterialarbeiten“ von Jürgen Spiler (*1955) zeichnen sich durch Kleinteiligkeit und vielfältig kombinierte Materialien aus. Als Einzelteile verwendet er fotografische Objets trouvés, also Gegenstände aus dem Alltag eines Fotografen, die erst durch ihre geometrisch-strenge Anordnung auf einer Glasplatte zu einer Art abstraktem Bild werden. Durch die Kombination wird aus ehemals getrennten Elementen eine geschlossene Einheit. Auf dieser künstlerischen Vorgehensweise basiert die Vergleichbarkeit der „quick-fix-Objekte“ Voßmanns mit den Fotografie-Assemblagen Spilers.

Darüberhinaus ist der Umgang mit Kunst bei Peatc Voßmann und Jürgen Spiler ausgesprochen respektlos. Sie zeigen weder Ehrfurcht vor der Kunstgeschichte noch vor ihren eigenen Arbeiten. Die Kunst hat bei ihnen niemals den Charakter einer stilistischen Überhöhung, sondern wirkt immer alltäglich. Diese Wirkung beruht vor allen Dingen auf der Wahl ihrer vom materiellen Standpunkt aus wertlosen Materialien. So verwendet Peatc Voßmann: Milchtüten, Zigarettenschachteln, Asphalt-, Holz- und Fotoreste, Packpapier, gefundene Eisenteile, aber auch fluoreszierende Farben. Bei Jürgen Spiler sind es belichtete und unbeachtete Filmstreifen, Glasplattennegative der Jahrhundertwende, verblichene Fotos, schwarze (d.h. nicht belichtete) Polaroids, Dias, Polaroidbatterien in Alufolie oder eine Diskette.

Die gezeigten Objekte von Peatc Voßmann (alle „ohne Titel“, aus den Jahren 1992 bis 1994) stehen auf dem Boden oder auf kleinen Plateaus. Vom eintretenden Besucher werden sie zunächst in extremer Aufsicht wahrgenommen, in der sie klein und zerbrechlich wirken. Will man die „quick-fix-Kollektion“ angemessen rezipieren, muß man sich auf den Boden setzen oder zumindest in die Hocke gehen. Dabei geht der Impetus, sich zu beugen, um auf die Höhe der Kunst zu kommen, von dieser selbst aus. Da alle Kunstwerke beim Eintreten auf den ersten Blick zu erfassen sind, wird die Entscheidungsfreiheit des Betrachters durch nichts eingeschränkt. Er ist frei, den Raum sofort wieder zu verlassen oder eben die Betrachtung aus der ungewohnten Perspektive aufzunehmen.

Auch bei den 1993 und 1994 entstandenen Arbeiten von Jürgen Spiler findet eine besondere Art von Annäherung statt. Durch die geometrische Anordnung verschiedener Teile auf einer Glasplatte scheint sich das einzelne Werk offen und schnell erfaßbar zu präsentieren. Das Gegenteil aber ist der Fall. Jürgen Spiler konfrontiert uns mit Bild- oder Informationsträgern, deren Inhalt sich von Anfang an dem optischen Erfassen entzieht oder durch Alterung kaum noch wahrnehmbar ist. Bald werden auch diese motivischen Reste im Schwarz des Bildträgers verschwunden sein.

Wenn man aber glaubt, daß die Arbeiten dieser beiden Künstler vorwiegend von einem antiästhetischen Prinzip getragen sind, dann liegt es bei der/ beim BetrachterIn, seine Vorstellung von Ästhetik zu überdenken. Ästhetisches Empfinden ist eine Dimension, die sich beim Empfänger konstituiert und nicht beim Sender. Man kann der Frage nachgehen, ob es unterschiedliche Grade einer allgemein ästhetischen Akzeptanz in der Gesellschaft gibt, ob sich die Asthetik der Impressionisten schneller verallgemeinert hat als sich die Ästhetik Joseph Beuys‘ verallgemeinern wird. Die Existenz einer völligen (Anti-) Ästhetik, losgelöst vom gesellschaftlichen Kontext, erscheint dabei absurd.

Noch in den 1960er-Jahren wurde die Kunstszene von einer Art Anti-Kunst bestimmt, die versuchte, gesellschaftliche Konventionen und ästhetische Erwartungen des Publikums bewußt zu enttäuschen. Geschah dieses in einer Zeit, in der die klassischen Verfahren der Avantgarde (Demontage und Provokation) durchaus noch ihre Bedeutung hatten, so erscheint es nun, das definitive Ende des 20. Jahrhunderts und seiner Moderne vor Augen, folgerichtig, daß Peatc Voßmann und Jürgen Spiler nicht vergleichbare Ziele mit ihren Arbeiten verfolgen.

Der spezielle Umgang mit Material findet bei beiden Künstlern nicht nur im geschlossenen System eines Museums oder einer Galerie statt, sondern auch im Außenraum. Bei Jürgen Spiler kommt das durch seine Reisen und Exkurse in nahe vertraute und ferne fremde Welten zum Ausdruck. Ausgestattet mit einem Auftrag für Portraitfotografie und viel Neugier, lebte er z.B. mehrere Monate 1989 auf der südwestpazifischen Inselgruppe Tonga oder arbeitete 1992 auf Jamaica. 1993 fertigte er ein Büh-nenbild für eine Tanztheateraufführung im Mozarteum in Salzburg und eine fotografische Dokumentation über Asylanten und Aussiedler in Bergkamen (Ruhrgebiet) an.

Auch Peatc Voßmann begibt sich in regelmäßigen Abständen auf „unerforschtes“ Terrain, das er häufig auf Industriebrachen seiner Heimat, dem Ruhrgebiet, findet. 1985 z.B. durchstreifte Voßmann über mehrere Tage das Gelände einer abgerissenen Brauerei an der Unionstraße in Dortmund und hinterließ in den Nischen der Ruine kleine, aus Fundstücken zusammengesetzte Assemblagen. Diese kreative Kooperation mit einem Gebäude vollzog sich allerdings nicht in der Sicherheit eines städtischen Bildhauersymposiums o.ä., sondern im gesetzlosen Freiraum des täglichen Lebens. Die Spuren, die nischenfüllenden Objekte, die Voßmann hinterließ, waren ständig der Bedrohung durch den Werkschutz, der auf dem Gelände patroullierte, ausgesetzt, der diesem künstlerischen Unterfangen schließlich auch ein Ende setzte. Peatc Voßmann hatte damit zum erstenmal in seinem Werk jenen zerstörerischen Zug manifestiert, der auch in seiner „quick-fix-Kollektion“ mitschwingt: die permanente Bedrohung der Kunst durch die Öffentlichkeit. So wie der Werkschutz seinen Objekten wie Parasiten nachsetzte – als ob es da noch was zu schützen gäbe außer dem Prinzip – , so lassen sich die Bodenobjekte ohne große Gefahr durch einen kräftigen Fußtritt auslöschen. Vielleicht ist dies das richtige (künstlerische) Zeichen in einer Zeit, in der Menschen nicht nur Kunst im öffentlichen Raum mit Feuer und Gewalt traktieren, sondern sich auch nicht scheuen, übereinander herzufallen.

Was diese Kunst von Jürgen Spiler und Peatc Voßmann auf Dauer hinterlassen wird, ist ungewiß. Vielleicht ist es nur ein wenig Poesie … (Rosemarie E. Pahlke)