Einführende Worte: Katharina Manojlović
Den revolutionärsten Moment in der Entwicklung der Malerei nannte der Dadaist und Dichter Tristan Tzara die Erfindung der Collage und meinte damit den fundamentalen Bruch mit etablierten Formen künstlerischer Repräsentation. In den die Collage bestimmenden technischen Verfahren, im Kleben (frz. coller), Kratzen, Schneiden, Reißen, Falten, Montieren, Assemblieren, Dekomponieren usw. steckt ein radikales Potential. Speisten sich die Papiers collés der Kubisten aus Gebrauchtem, Verworfenem und dem vermeintlich Banalen, umschwärmen uns heute die vielfach reproduzierten, reformatierten und re-editierten Kopien eines beständig anwachsenden digitalen Debris. Der aktuelle Schwerpunkt der FOTOGALERIE WIEN präsentiert in vier Ausstellungen ein breites Spektrum an Methoden und Verfahrensweisen der Collage in der zeitgenössischen Foto- und Videokunst. Sichtbar werden dabei die erzählerischen und autopoetischen Stärken dieser Kunstform ebenso wie ihre Innovationskraft als grundlegender, gerade im Einsatz neuer Technologien oder in räumlich-skulpturalen Erweiterungen zutage tretender Wesenszug. Stets lenken die Bilderdrifts auch anarchische, von Zufall und Spiel getriebene Energien.
Solche Auslassungszeichen finden sich auch im Werk Anita Witeks wieder. In der eigens für Welcome Home angefertigten Installationen der Künstlerin, die an Paravents erinnern, durchbrechen kreisförmige Ausschnitte das Trägermaterial: Ausstellungsraum und Bildebene fallen ineinander. Wie Baumgartner verwendet auch Witek Vorgefundenes. Ihre Collagen speisen sich aus einer umfangreichen Sammlung massenmedialer Reproduktionen, Zeitschriften und Postern etwa – Ephemera, bedenkt man ihre hergebrachte Funktion –, aus denen die zentrale visuelle Information entfernt worden ist. Übrig bleiben die mit dem Messer abgetrennten Hintergründe, Bildränder und Umrisse: Passformen für unser Begehren. Die berückende Schönheit von Witeks Collagen, das, was uns lockt, entsteht im Zusammenspiel von Ähnlichkeit und Differenz. Abstrakte Formationen, die auf sich selbst verweisen, paradox bleiben und dabei doch vertraut erscheinen. Wie das, woraus sie gemacht sind.
(textliche Betreuung: Katharina Manojlović)